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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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aber er blieb stehen. Er trat ein paar Schritte vor, bis er mitten im Zimmer stand; er schien das gesamte Haus auf seinen Schultern zu tragen.
    »Dag«, sagte er. Mehr brachte er nicht heraus.
    »Du wirst mitkommen müssen«, erklärte der Polizeibeamte.
    »Wohin denn?«, fragte Dag.
    »Am besten, du gehst mit«, sagte Alfred leise.
    Dag schloss den Deckel behutsam über der Tastatur, ließ ihn aber im letzten Moment mit einem Knall fallen. Irgendwo aus dem finsteren Inneren des Instruments kam ein dunkles, beinahe unhörbares Brausen. Dann erhob er sich, der Beamte fasste ihn vorsichtig am Arm, und als sie das Zimmer verließen, drehte sich Dag zu Teresa um und lächelte.

6.

I
    D er Livannet, weiß und ruhig. Keine Vögel. Nur der Himmel. Wind und Eis. Irgendwann kriecht das Außenthermometer auf minus fünfundzwanzig Grad. Kann immer nur für kurze Zeit schreiben, bevor die Finger steif werden. Dann wird es heller, es wird Februar, März, der Wind dreht auf West, und es wird allmählich milder.
    Versuche, alles zusammenzutragen.
    In ihrem Tagebuch notiert Großmutter am 22 . Januar 1998, einen Tag, nachdem viereinhalb Liter Flüssigkeit aus Vaters Lungen gesaugt wurden: Ich wurde in die Erde gelegt .
    Mehr nicht. Er war ja noch immer ihr Kind.
    Und ich war noch immer sein Sohn.
    Ich erinnere mich an den Abend in der Scheune von Olga Dynestøl. Als ich mit Vater dorthin kam, hingen noch immer alle Elche unter dem Dach. Insgesamt waren es drei, einen davon hatte Vater mit einem einzigen Schuss zur Strecke gebracht, aber ich wusste nicht, welchen. Alle drei sahen gleich aus, wie sie da an den Hinterbeinen hingen, dunkelrot, abgezogen, nackt. Dann wurden sie langsam heruntergelassen, einer nach dem anderen. Drei Männer hielten das Seil, zwei andere zerschnitten den Körper in immer kleinere Stücke. Der Hals wurde mit einer Stichsäge durchtrennt, und plötzlich schoss ein Schwall Blut heraus, der sich in dem Tier gesammelt hatte. Man legte einen zusätzlichen Kraftfuttersack darunter. Es roch säuerlich nach Tabakrauch und Blut. Der Flaschenzug an der Decke ächzte, als der Kadaver weiter herabgelassen wurde. Ein großes Stück wurde herausgesägt, während ein Mann das Tier festhielt. Der Körper wurde kleiner und kleiner, und schließlich konnte man ihn in zwei gleichgroße Teile zersägen. Zwei Mann hielten jeweils einen Schenkel, und als der Leib zerteilt war, wankten beide unter dem Gewicht. Die Fleischstücke wurden abgetrennt und zu einer Bandsäge getragen, wo man sie in noch kleinere Stücke sägte. Die Säge glitt durch das Fleisch, kreischte durch die dicken Schenkelknochen und hackte sich durch die Rippen, und die ganze Zeit musste jemand Wasser über das Blatt gießen, damit es leichter hindurchglitt. Ich entsinne mich an den würzigen Geruch der zersägten Knochen, und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn mochte oder ob er mir Übelkeit bereitete. Zuletzt wurden die Stücke auf eine Schlachtbank geworfen und die Knochen, Sehnen und blutigen Fasern herausgeschnitten. Auch die Kugeln wurden herausgezogen und nebeneinander an den Rand der Bank gelegt. Sie hatten sich bis zur Unkenntlichkeit verwandelt, nachdem sie in die Körper eingedrungen waren. Einige sahen aus wie kleine Blumen mit scharfen, aufgerissenen Kronblättern, andere wie winzige blutige Vögel. Alle wurden nebeneinander in eine Reihe gelegt, als wären sie auf irgendeine Weise wertvoll, obwohl niemand sie haben wollte. Am Ende wurden sie weggeworfen.
    Ich stand in der Scheune von Olga Dynestøl und sah, wie das Fleisch zerschnitten und in ungleiche Haufen verteilt wurde. Einige waren größer, andere kleiner. Ein Haufen bestand lediglich aus einem einzigen Stück Fleisch und einigen Knochenstücken, die sich für nichts anderes als Hundefutter eigneten, andere waren so groß, dass es ein paar Leute brauchte, um sie fortzutragen. Dann wurden die Namen verlesen und die Haufen auf die Anwesenden verteilt. Die Männer hatten Wannen, Eimer und schwarze Müllsäcke mitgebracht. Sie verschwanden über die Scheunenauffahrt und wurden von der Dunkelheit verschluckt. So ging Kasper, so gingen Sigurd und John und all die anderen, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Sie sammelten ihre Fleischhaufen ein und verschwanden durch das Scheunentor. So verschwanden auch Vater und ich. Sein Name wurde aufgerufen, und wir gingen zu dem großen Haufen, der uns gehörte. Ich half, die Fleischbrocken in eine Wanne zu legen, sie waren merkwürdig

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