Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

Warwick so plötzlich in die Bucht von Aden fliegen müssen. Er hatte dafür gesorgt, dass sich niemand für die Persephone und ihre Fracht interessieren würde, und damit wäre die Sache eigentlich begraben gewesen.
    Aber dann war er zwei Monate später in einer ganz anderen Angelegenheit nach Mogadischu geschickt worden, und mit einem Mal war alles richtig vertrackt.
    *
    »Der Waffenhandel blüht wie nie zuvor, und heute ist er vollkommen in der Hand der Käufer.«
    May Tantawi ließ den Blick über die kleine Runde der Ermittler schweifen.
    »Die Zahlen sind deprimierend«, setzte sie ihren Vortrag fort. »Während des Kalten Krieges bestimmten politische Allianzen, wer Waffen erwerben konnte, und damit war eine gewisse Kontrolle verbunden, an wen man verkaufte. Natürlich stand die Waffenindustrie nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch des Ostblocks unter einem enormen Druck. Aber sie hat sich längst wieder erholt. Dafür ist die Hemmschwelle im Hinblick darauf, mit wem man Geschäfte macht, drastisch gesunken. Heute zählen allein finanzielle Beweggründe. Wer Geld hat, kann problemlos eine ganze Armee in einem Bürgerkrieg ausstatten oder zu einem Völkermord aufrüsten. Weltweit werden jährlich Waffengeschäfte in Höhe von vierzig Milliarden Dollar getätigt, und fast drei Viertel aller Waffen wird in Entwicklungsländer geliefert.«
    »Aber findet so etwas denn auch in Dänemark statt?«, wollte Thor wissen. »Ich meine, was bringt einen Journalisten wie Spang-Hansen dazu, sich auf eine französische Waffenhändlerin zu stürzen. Könnte er eine dänische Verbindung aufgetan haben?«
    »Warum nicht«, antwortete Tantawi. »Es gibt Leute, die Dänemark als Weltmeister im Waffenexport bezeichnen. Und damit liegen sie nicht ganz falsch. Erinnert ihr euch an Danica White? Das war ein Containerschiff, das 2007 vor der Küste Somalias gekidnappt und drei Monate lang gefangen gehalten wurde. Das Schiff war auf dem Weg nach Mombasa in Kenia und hatte eine neutrale Fracht aus Zement und Rohren geladen. Allerdings nur, weil sie ihre HAWK -Raketen und Maschinengewehre zu diesem Zeitpunkt bereits in Umm Qasr im Irak abgeliefert hatten.«
    Thor ahnte allmählich, warum Tantwai möglicherweise bei ihren Arbeitgebern vom PET in Ungnade gefallen war. Dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und sah die anderen an.
    »Befinden wir uns zu sehr auf Abwegen?«, fragte er. »Vielleicht machen wir die Dinge unnötig kompliziert, indem wir eine zufällige Sache untersuchen, mit der sich Spang-Hansen beschäftigt hat. Haben wir sein Privatleben genau genug unter die Lupe genommen? Jeder Polizeischüler weiß, dass neun von zehn Tätern aus dem nächsten Umfeld des Opfers stammen.«
    Tantawi stand auf und suchte ihre Unterlagen zusammen.
    »Du warst derjenige, der etwas über den Waffenhandel erfahren wollte, weil Spang-Hansen versucht hatte, Adèle de Clermont-Tonnere zu kontaktieren«, sagte sie.
    »Ja, aber ich weiß trotzdem nicht, ob wir in diese Richtung ermitteln sollten. Vielleicht sollten wir uns mehr auf diese Nachtclub-Gerüchte konzentrieren. Was, wenn in Wirklichkeit Anisa das Opfer sein sollte und nicht Spang-Hansen? Ein Zeuge behauptet, gehört zu haben, dass sie in einem Nachtclub jobbte.«
    Er machte eine resignierte Armbewegung und fuhr dann fort : » Prostituierte werden ermordet, weil ihre Kunden Psychopathen sind, weil sie fliehen wollen, weil ihre Zuhälter sie leid sind, weil sie ein gefährliches Leben führen. Aber Journalisten werden selten ermordet, immerhin befinden wir uns hier ja nicht in Russland. Und Spang-Hansen erscheint mir irgendwie zu glatt, um ein gefährlicher Regimekritiker zu sein, auch wenn Journalisten und Autoren mit mehr als einem Stempel im Reisepass das in einem kleinen Land wie Dänemark gern von sich behaupten.«
    Tantawi zuckte mit den Schultern.
    »Falls es dich interessiert, gibt es noch eine weitere Person, die Clermont-Tonnere in der jüngeren Zeit mit Dänemark verbindet.«
    Hastig blätterte sie ihre Papiere durch und schob Thor einige Blätter zu. Erst starrte er nur verwirrt darauf, dann begann er von vorn zu lesen. Es verging einige Zeit, bis er verstand, dass es der Ausdruck einer Übersicht des DGSE über Personen war, die mit Clermont-Tonnere in Verbindung gestanden hatten. Es musste der Bericht zu einer Beschattung sein, die der französische Geheimdienst durchgeführt hatte, um die Aktivitäten der weiblichen Waffenhändlerin nachzuvollziehen. Mühsam kämpfte