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Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

Titel: Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Bødker
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fallen lasse, kommen die Bilder erneut. Und der Schrei, doch er existiert nur in meinem Kopf. Niemand wird mich hier finden.
    Der Raum ist nasskalt, und die Holzverkleidung ist von Schmutz und Nikotin dunkel. Hier ist es kaum wärmer als draußen, aber die dünnen Wände schützen vor dem Wind. Ich arrangiere mich mit dem, was ich habe. Öffne eine Packung Kekse, lege mich in den Schlafsack neben dem kalten Ofen. Hier kann ich mich verstecken, neue Energie tanken, denn jetzt kann ich nicht mehr rennen. Nur er kennt diesen Ort. Es ist sein Haus, seine Schuld, dass ich auf der Flucht bin, aber dank ihm brauche ich für einen Moment nicht mehr weiterzulaufen.
    Ich sitze an die Wand gelehnt und nehme die Umgebung um mich herum wahr. Registriere mit allen Sinnen die abgestandene Luft, die zerschlissenen Gardinen, den Wind, wie er draußen in den Stahldrähten pfeift. Ich behalte die Tür und die Fenster im Auge. Ruhe mich aus, ohne mich zu entspannen. Lehne den Rücken gegen das kalte Holz, doch meine Muskeln sind immer noch angespannt.
    Jetzt erinnere ich mich wieder daran, dass ich nirgends sicher bin. Ich habe die Lehren meiner Kindheit zu lange vergessen gehabt. Der Tod kann mich jederzeit treffen, und wer sich ausruht, hat ihn selbst zu sich eingeladen.
    Paranoia ist keine Krankheit, sondern eine Überlebensstrategie, und ich beherrsche sie perfekt. Ich habe gelernt, mich wie die Hyäne in der Savanne zu verhalten: in einem Zustand ständiger Wachsamkeit, ständiger Vorbereitung und ständiger Paranoia.
    Dein bester Freund kann sich am nächsten Tag gegen dich wenden.
    Ich springe auf, weil ich draußen ein Geräusch höre. Die Reflexe betäuben meinen Schmerz und meine Müdigkeit. Ich muss all meine Kraft aufwenden, um den Korb mit dem Brennholz vor die Tür zu wuchten. Mir wird vor Anstrengung schwarz vor Augen.
    Ich bin Anisa. Einsiedlerin und Überlebenskünstlerin.

35
    I ch glaube, das ist sie.«
    Daniel Kraus zeigte Thor sein iPhone. Er vergrößerte ein Foto von einer Homepage, das eine Frau Anfang vierzig zeigte, die ein etwas träges Gesicht hatte, aber stark zurechtgemacht war, mit viel Lippenstift und gewelltem Haar, als versuchte sie eine klassische Hollywood-Diva nachzuahmen. Der Gedanke, dass sie ein Mordopfer war, schien irgendwie abstrakt, aber Vibe Herzogs Leiche war vom Tatort entfernt worden, ehe die Ermittler ankamen, so dass weder Thor noch Kraus sie gesehen hatten.
    »Eine Anwältin in einer Sozietät in der Innenstadt«, berichtete Thor. »Sympathisierte in den 1980 er Jahren mit der Hausbesetzerszene, hatte jedoch nie mit der Polizei zu tun und absolvierte ihr Jurastudium an der Kopenhagener Uni in der Regelzeit. Eine profilierte Verteidigerin mit einer Vorliebe für alternative Mandanten, aus den Kreisen des Ungdomshuset oder aus Christiania, in der Öffentlichkeit aber kaum bekannt. Sie zählte nicht zu denjenigen, die ständig in den Nachrichten auftreten, wenn sich die Linken wieder einmal auf die Zehen getreten fühlen.«
    »Geschieden, keine Kinder, lesbisch, zurzeit ohne Partnerin«, ergänzte Kraus. »Verwaltet Fonds, deren Ziel es ist, die Welt zu verbessern. Unter Ökos und Aktivisten als ›die Frau mit dem Geld‹ bekannt.«
    Thor lächelte den Kollegen schief an. Auf dem Weg nach Christianshavn hatten sie beide das Material überflogen, das sie vorher im Internet recherchiert hatten. Zehn Kollegen waren unterwegs, um nach Zeugen zu suchen. Dass in der Freistadt immer jemand unterwegs war, nützte nicht viel, wenn die eine Hälfte der potentiellen Zeugen bekifft war und die andere nie zugeben würde, wo sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt aufgehalten hatte, wenn die Polizei danach fragte. Sie mussten ihre Hoffnung in das Ergebnis der Spurensicherung setzen und ansonsten versuchen, das Leben und Wirken des Opfers minutiös nachzuverfolgen, und zwar so schnell wie möglich.
    »Ich übernehme die Küche.«
    Kraus nickte, und Thor ging weiter in das Wohnzimmer und bemühte sich, alle Blutspritzer und andere Zeichen von Gewalt zu ignorieren, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Die Polizei war um 19 . 27  Uhr alarmiert worden. Ein Nachbar hatte bei der Zentrale angerufen, und kurz darauf war ein Streifenwagen über eine Feuerwehrzufahrt bis zu dem als Mælkebøtten bezeichneten Gebiet am Wall gelangt. Einer der Polizisten hatte sofort einen Krankenwagen gerufen – warum die Notrufzentrale nicht selbst einen geschickt hatte, war unklar –, während der andere verzweifelt ein

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