Bewegt Euch
unterbekam. Wir hatten ja auch sonst praktisch kein Gepäck. Campingbestuhlung befand sich nicht in unserem Besitz, den Grill würden wir an einer Tanke erwerben, Lebensmittel direkt aus einem schwedischen See ziehen oder im Wald finden.
Wir hatten kaum das Ortsschild »Berlin« hinter uns gelassen, da fingen die Kinder auch schon an zu maulen. Ja, wir wurden überholt, und wie. Außerdem mussten wir dauernd anhalten. Das Gefährt brauchte so viel Benzin wie ein Airbus 380. Mein Respekt vor Fernfahrern wuchs gewaltig. Ich träumte von einem Abend am See, schwedischer Sonnenuntergang, eine Dose eiskalten Büchsenbiers und schweigender Motor.
Wildes Lagern in der Natur ist leider streng verboten. Die Seeparzellen auf den Campingplätzen waren immer und überall besetzt, meistens von deutschen Wohnmobilisten, die schon im Jahr zuvor reserviert hatten. Wir übernachteten häufig in der Gegend des Klohäuschens. Da war immer was frei.
Auf der Suche nach Attraktionen außer Astrid-Lindgren-Bauernhöfen googelte ich mich durch die schwedischen Sportkalender. Was trieb der Nordländer wohl in seiner Freizeit, wenn kein Schnee lag?
Und tatsächlich. Nicht zu fassen. Bei Brålanda, zwischen Melleruth und Frändefors am westlichen Ufer des Vänern-Sees, sollte ein Triathlon ausgerichtet werden, vom SK Granan, dem örtlichen Skiklub. Eine Telefonnummer war nicht angegeben, nur ein Parkplatz an einem der reichlich vorhandenen Seen. Meine Frau erklärte mich für verrückt, als ich an einem verhangenen Samstagmorgen um kurz vor sechs Uhr mein Rennrad bestieg. Es erschien mir unpassend, mit Wohnmobil samt Familie am Start vorzufahren. Die Wegbeschreibung ver lief sich im Ungefähren, sodass ich 40 Kilometer auf dem Tacho hatte, als ich am Parkplatz ankam. Ich hatte keinen Neoprenanzug dabei, keine Energieriegel, weder Trinkflasche noch Reparaturzeug. Dafür guckten die Schweden wohlwollend überrascht: Zum ersten Mal internationale Beteiligung bei ihren Klubmeisterschaften.
Ich war unterausgerüstet, der See eklig kalt und der Einheimische angetan von meiner Härte. Ein Fischer im Kahn überwachte, ob alle Gestarteten auch an Land krabbeln würden. Nichts wäre peinlicher als ein einsames Fahrrad in der Wechselzone, weil ein Exathlet nun als Wasserleiche im See dümpelt.
So kalt das Wasser, so hügelig war die Radstrecke. Eine ältere Dame leistete mir auf den endlosen 40 Kilometern Gesellschaft. Sie konnte kaum Englisch, dafür lehnte sie wechselseitiges Windschattenfahren kategorisch ab, weil es ja verboten ist. Fairness zeigt sich erst in der Wildnis. Der abschließende Lauf durch eine sehr einsame Waldgegend war auch psychisch anstrengend. Die Strecke war nicht gut markiert. Warum auch? Alle Teilnehmer kannten den Weg. Bis auf diesen tumben Deutschen. Die Vorstellung, halb nackt durch endlose Wälder zu taumeln, verfolgt von Wölfen und Bären, trieb mich voran.
Plötzlich stieg mir Grillduft in die Nase. Endlich. Das Ziel – ein Vereinshaus inmitten des Nirgendwo. Die Schweden klatsch ten. Natürlich hatte mich die alte Dame abgehängt. Immerhin war ich Zweiter meiner Altersklasse geworden, aber zugleich auch Letzter.
Meine neuen Freunde erwiesen sich als perfekte Gastgeber. Ich bekam zwar keinen Pokal, aber zwei aparte Schalen, die man für Knabberzeug und Gebäck benutzen kann. Ich habe die Schalen heute noch, auf einem Ehrenplatz gut sichtbar in meinem schicksten Regal.
Die Wohnmobiltour hätte kaum eine Chance gehabt, in meine Sammlung der allerschönsten Ferienerlebnisse aufgenommen zu werden. Aber der Triathlon des SK Granan. Die 40 Kilometer zurück zu meiner Familie hat mich ein Sportsfreund in seinem Volvo mitgenommen. Wer sich bewegt, findet Freunde, überall auf der Welt.
Der Engel
Für den Fall, dass der Eindruck entsteht, ich sei ein naiver Bewegungseuphoriker – das stimmt. Aber nicht ganz. Es gab reichlich hässliche Momente, Wut, Schmerzen, Tränen, Im- Erdboden-Verschwinden-Wollen. So wie beim BerlinMan 2010, einem halben Ironman in Wannsee und Grunewald, eigentlich ein Heimspiel. Die organisierenden Weltraumjogger hatten ein wirklich schönes Wochenende vorbereitet, professionell und familiär, das Sportler aus aller Welt anzog.
Ich hatte gut trainiert, ich wollte vor heimischem Publikum glänzen. Vor allem aber wollte ich ins Ziel kommen. In etwa fünf Stunden und fünfzehn Minuten. Nicht weltrekordverdächtig, dafür machbar.
Es war ein heißer Tag. Wie immer hatte ich das Schwimmen halbwegs
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