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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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könnte noch flüchten. Rüber in den Gewölbekeller, die Steintreppe rauf und raus in die Dunkelheit. Oder hatte er sich nur getäuscht? Vermutlich gab es hier Tiere. Mäuse, vielleicht auch Ratten. Oder Siebenschläfer. Jedenfalls genügend Getier, das er aufschrecken konnte. Zwei Minuten verstrichen, drei. Kein weiteres Geräusch. Nur Totenstille. Nicht mal der Hund war hier unten zu hören. Nichts.
    Der Mann schob den Schalter seiner Taschenlampe nach vorne. Obwohl davon überzeugt, dass er in diesem Gebäudeteil allein sein würde, war er jetzt darauf bedacht, lautlos an die Holztreppe heranzukommen. Der harte und ausgetrocknete Lehm dämpfte seine Schritte. Er erreichte die erste Stufe, setzte einen Fuß darauf und leuchtete nach oben, wo die Treppe an einer weiteren Holztür endete. Der Mann wischte sich eine Spinnwebe aus dem inzwischen schweißnassen Gesicht. Dann tat er den ersten Schritt. Doch die Bretter und Balken knackten und ächzten unter seinem Gewicht, weshalb er sofort wieder stehen blieb und angestrengt lauschte. Nichts. Er richtete den Lichtstrahl zu der Tür hinauf, vor der die Treppe endete. Schätzungsweise zehn Stufen trennten ihn von ihr. Er wagte einen weiteren Schritt und hatte noch nicht die Hälfte der Höhe erreicht, als etwas an seine Ohren drang, das so nah und bedrohlich war, dass er im Bruchteil einer Sekunde weiche Knie bekam. Schritte. Da waren Schritte. Schritte aus dem Gewölbekeller. Von jemandem, der sich nicht anschlich, sondern schnell näher kam. Er spürte Blutleere im ganzen Körper, Schwindel, Pulsrasen, Panik. Die Gefahr hatte er von vorne erwartet, von oben, von dieser Tür – nicht aber von hinten. Er stand wie erstarrt, den Körper halb zur Seite gedreht, den Blick in die Finsternis gerichtet. Er war nicht in der Lage, die Taschenlampe zu heben, deren Strahl vor ihm auf die Stufen fiel.
    Schwerer Atem drang aus dem Gewölbekeller herü­ber. Die Person musste jetzt die Tür in diesen Nebenraum erreicht haben. Gleich würde es geschehen. Vom Schock gelähmt, war der Mann auf der Treppe nicht mehr fähig, eine Entscheidung zu treffen. Nach oben flüchten, stehen bleiben, sich wehren – doch womit? Ihm blieb keine Zeit, zu nichts.
    Die Person schien sich ziemlich sicher zu sein. Sie war nur noch wenige Meter von der Treppe entfernt. Jetzt nahm er im diffusen Licht, den seine nach unten gerichtete Taschenlampe verbreitete, die Umrisse eines Mannes wahr. Und dann geschah alles gleichzeitig. Ein heller Scheinwerfer ließ die Finsternis explodieren. Ein starker Halogenstrahl traf ihn mitten ins Gesicht und blendete ihn. Er schloss instinktiv die Augen. Jetzt würde es geschehen. Jetzt. Ein Schuss würde allem ein Ende bereiten. Er ließ seine Taschenlampe fallen, die beim Aufprall auf die Treppe erlosch und abwärts polterte. Noch immer kein Schuss.
    »Hab ich mirs doch gedacht.« Eine Männerstimme, die er kannte. Voll Hohn und Spott.
    Er schwieg und spürte, wie sich seine trockene Kehle zuschnürte.
    »Diesmal kommst du mir nicht davon. Diesmal nicht«, zischte die Stimme hinter dem messerscharfen Halogenstrahl, »… wenn dus deinem Jungen nachmachen willst, dann kannst du das kriegen.« Der Mann mit der starken Lampe trat näher an die Treppe heran und lachte. »Jetzt hältst du endlich dein dreckiges Maul. Jetzt hast du nämlich allen Grund, dir in die Hose zu scheißen.«

54
     
    Häberle hatte an diesem wieder kühler gewordenen Aprilmorgen den Artikel über die Gerichtsverhandlung bereits zum zweiten Mal gelesen. Dieser Ketschmar war am ersten Prozesstag also hartnäckig bei seiner Version geblieben. Als Speckinger im Vorübergehen in das Büro des Chefermittlers spähte, konnte er sich eine Bemerkung nicht verkneifen: »Auch schon in den Bericht vertieft?!«
    Häberle faltete die Blätter zusammen. »Wir sollten nochmal einige Punkte durchgehen. Linkohr hat mir heut schon eine Mail geschickt.«
    »Mir gehen diese Autos mit den ausländischen Kennzeichen nicht mehr aus dem Kopf.«
    Häberle nickte. »Es hat doch irgendwo in den Akten schon mal einen Hinweis auf so ein Fahrzeug gegeben …?«
    »Ketschmar selbst hat es erwähnt«, entsann sich Speckinger spontan. »Er ist auf ein solches Fahrzeug aufgeschlossen, als er an jenem Freitagabend vom Steinberghof zurückgekommen ist.«
    »Stimmt. Aber mehr hat er uns dazu nicht sagen können.«
    »Ungewöhnlich ist das schon – ein ausländisches Auto in diesem Tal«, überlegte Speckinger. Doch dann kam ihm eine

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