Beweislast
jedoch ziemlich störrisch gezeigt habe. Sie alle hätten nichts Belastendes gegen Gerhard gesagt und sogar bestätigt, dass am Freitagabend noch die Baumstämme an der Zufahrt gelegen hätten, gegen die er geschrammt sein will. Auch keiner der Kunden habe etwas Beunruhigendes berichtet.
Die beiden Frauen, die den Tag über an der kühlen Donau spaziert waren und zwischendurch auch im Münster für Gerhard gebetet hatten, saugten jedes Wort in sich auf, das Manuel sagte. An diesem Morgen saßen sie zunächst wort- und appetitlos am Frühstückstisch beieinander, bis der junge Mann die Stille unterbrach: »Heute gehts nur einen halben Tag. Sie haben den Bauern vom Eulengreuthof geladen und einige Bedienstete des Arbeitsamts.«
»Und nachmittags?«, fragte Chrissi und legte das angebissene Brot wieder auf den Teller zurück.
Manuel zuckte mit den Schultern. »Sie haben wohl noch eine andere Sache zu verhandeln.«
»Wie?«, staunte Monika, deren Gesichtshaut fahler geworden war, »sie verhandeln zwei Sachen gleichzeitig?«
»Das kommt vor, ja.«
»Sie fertigen Gerhard so nebenher ab?« Monikas Stimme war tonlos, ihr Blick ging ins Leere.
Chrissi sah aus dem Fenster zur grauen Donau hinab. »Aber sie werden doch auch all die anderen Punkte sorgfältig besprechen?«
»Dafür werd ich sorgen. Ich hab euch aber doch schon erklärt, dass die Strafprozessordnung genau die Reihenfolge vorgibt. Und in welcher Reihenfolge die Zeugen vernommen werden, entscheidet allein das Gericht. Sie können einige Fakten nicht einfach ignorieren und unter den Tisch kehren.« Ihm war der Appetit vergangen. Es war schon kurz vor halb acht. Er musste aufbrechen, denn er wollte noch vor der Verhandlung mit Gerhard reden. So jedenfalls hatte er es mit den Wachtmeistern gestern Abend vereinbart.
»Und wenn sie es doch tun?« Auch Chrissi begann wieder zu weinen, »wenn sie sich nur auf diese DNA berufen? Jeder hat das doch bisher getan. Jeder. Es interessiert keinen – weder bei der Staatsanwaltschaft noch bei der Kripo –, was Gerd durchgemacht hat im vergangenen Jahr. Dass es da nur die logische Folge war, dass er so einen widerlichen Kerl vom Arbeitsamt angespuckt hat.«
»Genau darum gehts«, stimmte ihr Manuel zu und stand auf. »Aber vielleicht gibt es auch noch andere Punkte, die uns weiterhelfen.«
Die beiden Frauen sahen ihn überrascht an. »Wie meinst du das?«, fragte Chrissi. »Wie ich gehört hab, ist die Polizei wieder heftig an der Sache dran. Ich ruf euch zwischendurch mal an!«
55
Ketschmar hatte sich gestern Abend noch dazu gezwungen, etwas zu essen, obwohl sein Magen rebellierte. Er musste stark bleiben, sich konzentrieren können. Sonst würden sie ihn aburteilen und ihm keine Chance geben. Die Richter konnten sich auf den Tag vorbereiten. Für sie ging es ja um nichts. Allenfalls um die Sorge, das Urteil könnte wegen eines Verfahrensfehlers später von dem Bundesgerichtshof aufgehoben werden – was womöglich eine große Schande für diese Schwurgerichtskammer sein würde. Deshalb die penible Verhandlungsführung, dachte Ketschmar. Nein, denen ging es nicht wirklich um sein Schicksal, sondern um Formalismus und Bürokratismus. Das Urteil musste hieb- und stichfest sein.
Seine beiden Zellengenossen hatten ihn noch eine Weile mit dümmlichen und schadenfrohen, bisweilen sogar sadistischen Bemerkungen gequält, ihn dann aber in Ruhe gelassen. Wieder verschwammen Träume und Wünsche ineinander, gingen Albträume in Wahnvorstellungen über. Wie oft hatte er sich in den Nächten gewünscht, endlich aus diesen Fantasien herausgerissen zu werden, doch alles blieb Realität. Wäre er doch an diesem Freitagabend nicht zum Steinberghof raufgefahren. Wäre er an diesem Tag nicht bei Grauer gewesen. Hätte er sich niemals auf das Arbeitsamt verlassen. Wäre, hätte und immer wieder wäre …
Er dachte an Monika und an Chrissi, an die schönen Frühlingstage, die sie miteinander verbracht hatten. Tage, wie jetzt. Ob wohl draußen die Sonne schien? Die vergitterten Glasbausteine ließen dies nicht erkennen.
»Dann wünschen wir dir einen schönen Tag«, höhnte der Tankstellenräuber, als das Türschloss rasselte und Ketschmar abgeholt wurde. »Vielleicht machen sie es heute perfekt – dein lebenslänglich.«
Manuel kam, schüttelte ihm die eiskalte und feuchte Hand
und setzte sich neben ihn. »Wie geht es dir?«
»Muss ich da drauf antworten?«
»Nein«, sagte Manuel und versuchte ein aufmunterndes
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