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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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gefolgt, weil er unablässig an seine Familie denken musste und wie sie zerstört wurde. Ihn kotzten die Formalitäten an, mit denen der Vorsitzende die Verhandlung leitete – offenbar streng darauf bedacht, keinen Revisionsgrund zu bieten. Einige Male war es Ketschmar so erschienen, als ginge es weniger um seinen Fall, um sein Schicksal, als vielmehr um die Sorge, es könnte sich ein Verfahrensfehler einschleichen. Warum, verdammt noch mal, interessierte sich dieser Staatsanwalt so wenig für das Geschehen? War er sich seiner Sache so sicher, dass er diesen lästigen Prozesstermin halt absaß, um sich irgendwann zum Plädoyer zu erheben und lebenslänglich zu fordern? Egal, was während der Verhandlung gesprochen wurde.
    Der Mithäftling sprang von der oberen Liege und baute sich neben Ketschmar auf. »Jetzt hör mir mal gut zu, du Traumtänzer. Wie lange bist du jetzt schon hier drin? Vier Monate, fünf Monate? Kapier doch endlich, dass sie dich nicht so lange eingesperrt hätten, wenn sie nicht sicher wären, dass du den Typen gekillt hast. Und wenn du jetzt nicht aufhörst, den feinen Maxe zu spielen und so tust, als seist du etwas Besseres wie wir, dann werden wir dir endlich mal zeigen, was für ein mieses kleines Schwein du bist.«
    Von oben hörte Ketschmar die Stimme des Drogenhändlers: »Mit einem Mörder möchten wir eigentlich nichts zu tun haben.«
    Der Tankstellenräuber schlug unversehens zu. Mit der Faust in den Magen. So heftig und gnadenlos, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Er klappte wie ein Taschenmesser zusammen und blieb auf dem Betonboden liegen. Sein Schnellhefter war ihm beim Sturz entglitten und unter die Etagenbetten geschleudert worden.
    Ketschmar blieb die Luft weg. Er wollte sterben. Oder endlich verurteilt sein, um in einer Einzelzelle seine Ruhe zu haben. Seine Ruhe. Vor der Justiz und vor diesen Banditen. Er erschrak über sich selbst, als ihm klar wurde, dass er für einen winzigen Moment Monika und Chrissi vergessen hatte. Er durfte sich nicht aufgeben. Nein, unter keinen Umständen. Oder hatten sie ihn alle schon so weit gedemütigt und erniedrigt, dass er sich in sein Schicksal fügen wollte? In der Erkenntnis, dass ohnehin alles vorbei war und nichts mehr einen Sinn machte?

53
     
    Seit vor eineinhalb Wochen die Uhren wieder auf Sommerzeit umgestellt worden waren, hatte sich auch der Arbeitsrhythmus der Landwirte am Fuße des Rehgebirgsrückens verändert. Der helllichte Tag zog sich weiter in den Abend hinein und jetzt, Anfang April, wurde es erst gegen 21 Uhr richtig dunkel. Zweieinhalb Stunden später war es längst stockfinstere Nacht, der Himmel bedeckt. Die Gestalt, die den Hang der Streuobstwiese heraufkam, konnte sich sicher sein, von keiner Seite aus gesehen zu werden. Einmal nur zerschnitten die Scheinwerfer eines Autos, das zu einem der einsamen Gehöfte hinauffuhr, die Dunkelheit, doch streifte der Lichtschein nur den schmalen Seitenstreifen der Straße und traf für einen Moment auch den neuen Ferkelstall.
    Die Gestalt lehnte sich trotzdem kurz an den Stamm eines Apfelbaumes und verschnaufte. Als nur noch die Schlusslichter des Autos zu sehen waren, löste sich der Schatten, dessen Umrisse auf eine männliche Person hindeuteten, aus dem tiefen Schwarz des Baumes und stapfte lautlos weiter hangaufwärts. Von der Ferne drang das wilde Bellen eines Hundes durch das Tal.
    Langsam näherte sich der Mann einigen Gebäuden, deren Konturen aus dieser Distanz nur zu erahnen waren. Nirgendwo brannte ein Licht, zumindest nicht auf dieser Seite, die dem Tal zugewandt war.
    Der Mann atmete schwer und verlangsamte seinen Schritt. Nur noch knapp 20 Meter trennten ihn vom vordersten Gebäude. Er kannte sich hier aus und wusste, wohin er sich wenden musste: rechts am Haus entlang zur Giebelseite. Dort gab es eine instabile Holztür, hinter der eine Treppe in den alten Kartoffelkeller hinabführte.
    Der Mann vergewisserte sich, dass alles still war, folgte mit zwei, drei Metern Abstand der Hauswand, blieb an der Ecke kurz stehen und schob den Kopf vorsichtig vor, um mit einem Auge die Umgebung zu prüfen. Auch hier gab es nichts, was ihn beunruhigte. Kein Licht, kein Geräusch. Nicht mal die Tiere, die sich im Stall befinden mussten, gaben einen Laut von sich. Im Querbau schien ebenfalls niemand zu sein.
    Der Mann tastete sich an der Giebelseite entlang, spürte, dass dort größere Steine liegen mussten, die unter seinen Schuhsohlen knirschten, und bekam schließlich den

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