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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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herauszerrte und ihnen den Oberkörper nach unten drückte. Wer im Sommer kurze Hosen trug, bekam die Hiebe teilweise auf die bloße Haut.
     
    Das war Pädagogik auf dem Lande. Und niemand hatte sich zu beschweren gewagt, obwohl Ende der 50er Jahre die Prügelstrafe längst offiziell abgeschafft war.
    Aufmüpfig sein war verpönt. Später in der Mittelschule hatte er eine ganz andere Generation von Lehrern kennengelernt – meist junge Pädagogen, die zu Diskussionen und Mitdenken anregten. Aber auch noch einige der ›alten Garde‹, die allerdings wenigstens versuchten, sich den geänderten Zeiten anzupassen.
    Immerhin hatten die jungen Lehrer die angeknacksten Seelen noch einigermaßen retten können – aber wohl nicht ganz, wie er in solchen Momenten wie dem jetzigen, schmerzhaft zu spüren bekam. Was tief in der Seele saß, im Kindesalter eingebrannt, das schwappte immer mal wieder hoch. Manchmal hatte er den Eindruck, dass dies mit zunehmendem Alter umso heftiger geschah.
    Warum, verdammt noch mal, war er jetzt Monika eine Erklärung schuldig? Er war er. Dass er so aggressiv dachte, so egoistisch, das tat ihm gleich wieder leid. Was ihn erneut ärgerte. Er war er –und er brauchte vor niemandem Rechenschaft abzulegen. Nicht jetzt – und in dieser Sache schon gar nicht. Wer nahm denn Rücksicht auf ihn? Die Firma hats nicht getan und die Politiker taten es auch nicht.

9
     
    »Ein anonymer Anrufer«, erklärte Polizeihauptkommissar Edwin Scholz und lehnte sich zurück, »will wissen, dass dieser Grauer seit Langem bedroht worden sei. Von einem Unbekannten, aber vermutlich handle es sich um einen Arbeitslosen.«
    Obermeister Steffen zeigte sich überrascht. »Ach … Und woher weiß dies der Anrufer?«
    Scholz zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Er hat aber darauf hingewiesen, dass Anzeige erstattet worden sei. Dann müsste es bei uns aktenkundig sein. Bei der Kripo natürlich.«
    Sein junger Kollege nickte interessiert. »Hat der Kollege an der Wache festgestellt, woher der Anruf gekommen ist?«
    »Er ist gerade dabei. Jedenfalls hats am Display keine Nummer angezeigt.«
    Scholz griff zum Telefon. »Der Kollege soll sich der Sache annehmen«, entschied er und meinte den Wochenenddienstler der Kriminalpolizei. »Es ist Specki, glaub ich.« Dies war der Spitzname für einen versierten Kriminalisten, der seit drei Jahrzehnten den kriminellen Sumpf zwischen Stuttgart und Ulm wie kaum ein anderer kannte. Scholz erreichte ihn am Handy und schilderte die Situation.
    »Grauer heißt der Knabe?«, vergewisserte sich Specki, »ich glaub ich hab den Namen in so einem Zusammenhang schon mal gehört.«
    »Kannst du dich der Sache mal annehmen?«, fragte der Hauptkommissar, doch es klang eher wie eine Aufforderung.
    »Muss ich ja wohl«, kam es zurück. »Die Leiche ist aber bei der Obduktion?«
    »Ja. Das Ergebnis dürfte in der nächsten Stunde vorliegen.«
    Scholz bedankte sich und legte auf. Sein Kollege Steffen hatte sich auf seinem Schreibtischstuhl gedreht, um in Gedanken versunken zu dem grauen Himmel hinaufzublicken. »Ein Arbeitsloser hast du gesagt …«, sinnierte er, »da hat aber einer einen mächtigen Zorn aufs Arbeitsamt. Dieser Grauer – hat der was mit den Hartz IV-Leuten zu tun?«
    »Keine Ahnung. Wenn ich das hier aus den bisherigen Protokollen richtig rauslese, heißt es da nur, er sei Sachbearbeiter beim Arbeitsamt gewesen. Was immer das sein mag.«
    »Wahrscheinlich einer von der Sorte, die noch mehr Verwaltungskram am Hals haben als wir«, schätzte Steffen, der damals, als er sich vor 6 Jahren für die Polizeilaufbahn entschieden hatte, nie im Leben daran gedacht hätte, dass weit über die Hälfte des Dienstes aus Schreibarbeit bestehen würde. Er hatte ganz andere Ideale gehabt, hatte für Recht und Ordnung sorgen wollen – doch nun war er eingezwängt in eine bürokratische Maschinerie, die sich zunehmend selbst lähmte. Auch er war längst zu einem zahnlosen Tiger degradiert worden, zu dem die Politiker die Polizei gemacht hatten.
    »Ich weiß nicht so recht«, entgegnete Scholz auf die Bemerkungen seines jungen Kollegen, »man mag ja noch so einen Zorn auf die Verwaltungshengste haben – aber deswegen bringt man sie doch nicht gleich um.«
    »Du natürlich nicht«, meinte Steffen, »aber versetz dich doch mal in die Lage so eines verzweifelten Arbeitslosen, den sie behandeln wie irgendeine Nummer, dem sie kaltschnäuzig erklären, er soll gefälligst von 345 Euro im Monat leben. Du,

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