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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ohnehin unempfindlich.
    »Was machst du denn?«, hörte er plötzlich Monika, die an der Tür aufgetaucht war. Er war für einen kurzen Augenblick verlegen. Dann erhob er sich. »Ich muss sehen, wie ich das wieder hinkrieg«, antwortete er mit unsicherer Stimme.
    »Wieso fährst du nicht raus? Da hättest du doch mehr Licht«, wunderte sich seine Frau.
    »Es muss ja nicht gleich jeder sehen, dass ich hängen geblieben bin«, entgegnete er schnell und lächelte verkrampft.
    »Vergiss es doch, Gerd.« Sie hatte bereits gestern Abend gespürt, wie sehr ihn diese Stoßstange beschäftigte. »Das sieht doch kein Mensch. Außer einem Riss in diesem Plastikzeug ist nichts passiert.«
    Sie sahen sich zweifelnd an. Ketschmar nickte wortlos. Er nahm den Lappen und ging zu seiner Frau. »Du hast ja recht, Schatz«, sagte er und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke für dein Verständnis – und deine Geduld mit mir.«
    Dann verließen sie die Garage und er zog sich in sein kleines Büro auf dem Dachboden zurück. Durch das schräge Fenster fiel das diffuse Licht eines nebligen Tages. »Ich guck mal die E-Mails durch«, hatte er im Hochgehen erklärt.
    Wer hätte aber auch schon schreiben sollen? Natürlich keine Post. Die Absagen auf seine Bewerbungen lagen meist in dicken Umschlägen im Briefkasten. »Wir bedauern sehr …«
    Er kannte die Formulierungen und las nie bis zum Ende. Von wegen ›freundliche Grüße‹! Die konnten sie sich sparen. Die zurückgeschickten Unterlagen, fein säuberlich in Klarsichthüllen und in Ordnern zusammengefasst, stopfte er in eine dieser Pappmappen in der Hängeregistratur seines Schranks. Auf dem Schreibtisch stapelten sich die Inseratenseiten der regionalen Zeitungen.
    Ketschmar überlegte kurz, dann griff er zum Telefonbuch und suchte sich die Nummer der nächsten VW-Werkstatt. Es war zwar Samstag, aber irgendjemand würde ihm sagen können, wie schnell so eine Stoßstange auszutauschen war. Eine freundliche Mädchenstimme verband ihn weiter.
    »Für einen Golf, sagen Sie«, griff eine Männerstimme sein Anliegen auf, nachdem er den genauen Fahrzeugtyp genannt hatte, »kein Problem. Sie können den Wagen am Montagmorgen herbringen.«
    »Okay«, willigte Ketschmar ein, »gleich um acht?«
    »Noch eine Frage«, hakte Ketschmar nach, »was kostet denn so was?«
    Nach einer kurzen Pause des Nachdenkens kam die Antwort: »Naja, Material, Lackieren und Arbeitszeit … ich würd sagen so rund 700 Euro. Wenn sonst nichts dazu kommt.«
    Ketschmar schluckte, bedankte sich und legte auf.
    Wie sollte er nur Monika erklären, dass er trotz der finanziellen Probleme, die er seit Monaten geradezu panisch herbeiredete, diese Reparatur vornehmen lassen wollte?
    Gejagt und gehetzt. Er hatte schon immer befürchtet, zu versagen, und wollte es allen recht machen. »Was denken die anderen?«, hatten seine Eltern immer gesagt und ihm indirekt suggeriert, sich anzupassen. Im Laufe der Zeit war es ihm Gott sei Dank egal gewesen, was die anderen dachten. Jeder Mensch ist sich selbst und seinem Gewissen verantwortlich. Und jeder Mensch ist, wie er ist. Einzigartig und mit Fehlern behaftet. Nur die wirklich kantigen Typen, die aneckten und sich was trauten, hatten es zu etwas gebracht. Aber wo gab es heutzutage noch diese Menschen, die man oftmals voll Respekt als ›Originale‹ bezeichnete?
    Seiner Generation hatte man dies ausgetrieben. Schon ganz frühzeitig, damals in der Grundschule, als noch die Lehrer das Sagen hatten, die schon vor und während des Krieges von ihrem speziellen Verständnis von Pädagogik überzeugt gewesen waren, da galten kritische Fragen als aufmüpfig und frech. Wenn er sich heute zurückerinnerte an seine allererste Berührung mit der Schule, dort, wo auf dem Dorf noch vier Klassen in einem einzigen Raum unterrichtet wurden, dann überkam ihn ein Schauer. Dieser Lehrer, steinalt musste er gewesen sein, hatte einen geradezu bestialischen Zorn kriegen können. Dann traten an den Schläfen seines nahezu kahlen Kopfes die Adern derart hervor, dass sie zu platzen drohten. Obwohl sein Bauch unförmig dick war und in einer entsprechend weiten Hose steckte, konnte dieser autoritäre Mensch erstaunlich schnell durch die Reihen der kleinen Bänke schwappeln, vor allem aber seinen Rohrstock in Aktion setzen. Bei den Mädchen mal kraftvoll gegen die Arme, am liebsten jedoch bei den Buben auf die Hinterteile, wozu er seine Opfer am Nacken packte, sie gewaltsam seitlich aus der Bank

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