Beweislast
Störung«, versuchte er sich trotz des wilden Hundegebells Gehör zu verschaffen, »wir sind von der Kriminalpolizei. Häberle mein Name – und das ist mein Kollege Linkohr.«
Sie waren inzwischen bei dem Bauern angelangt und sahen in ein zerfurchtes, unrasiertes Gesicht. Die wenigen Haare hingen ungekämmt in die Stirn.
»Wegen der Leiche?«, stutzte der Alte und vergrub seine Hände im blauen Arbeitskittel.
»Eugen, was ist?« Aus dem Flur des Gebäudes hallte eine Frauenstimme.
»Nichts«, schrie er unwirsch zurück und wandte sich sogleich energisch an die beiden Kriminalisten: »Ich hab mit der Sache nichts zu tun. Nichts. Gar nichts – dass dies klar ist. Der Nichtsnutz da unten …« – er machte eine entsprechende Kopfbewegung in Richtung Steinberghof, – »… dem trau ich alles zu. Alles.« Diese Formulierung war den beiden Kriminalisten nicht fremd.
Noch immer tobte der Schäferhund, der sich mit all seinen Kräften von der Kette losreißen wollte. »Cyras!«, brüllte der Alte zu ihm hinüber, »Ruhe. Sitz. Platz.« Es war vergebliche Liebesmüh, dachte Linkohr. Fehlte nur noch, dass der Bauer behauptete, Cyras sei lammfromm und folge normalerweise aufs Wort.
Häberle lächelte. Er hatte Mühe, im Gegenlicht der Flurbeleuchtung die Gesichtszüge seines Gegenübers zu erkennen. »Wir hätten von Ihnen gerne gewusst, wie Sie die Situation hier im Tal einschätzen.«
»Da gibts nicht viel einzuschätzen«, kam es zurück, »Deppen und Dackel – weiter nichts. Tun Sie endlich was!« Er giftete Häberle an. »Jetzt hats einen Mord gegeben. Das hab ich schon lang vorhergesehen.« Er zögerte. »Vielleicht ist es auch schon der Zweite.«
»So?« Der Kriminalist zeigte sich interessiert, »deshalb sollten wir mal in Ruhe reden.«
Der Alte blickte abwechselnd zu Linkohr und Häberle. »Kommen Sie rein!«, entschied er nach kurzem Zögern.
Er führte die beiden Besucher in den kahlen Flur, in dem strenger landwirtschaftlicher Geruch in der Luft hing.
»Marie«, rief der Alte, der mit seinen Filzpantoffeln vorausschlurfte und am Ende des Flurs die Tür in ein wohl gewärmtes Wohnzimmer öffnete, das die Eheleute vermutlich zu ihrer Hochzeit eingerichtet hatten. Ein ›Stubenbuffet‹, wie man früher sagte, stand etwas verloren an einer Wand. Den Rest des Raums füllten ein Sofa sowie der Esstisch mit vier Stühlen aus. Ein Kohleofen stand in der Ecke.
»Setzen Sie sich«, forderte der Mann seine Besucher auf, während nun Marie, die Ehefrau, erschien. Sie war vermutlich genau wie Eugen bereits jenseits der 70 und von der harten landwirtschaftlichen Arbeit früherer Jahrzehnte gezeichnet: Ihr leicht hinkender Gang ließ auf ein Kreuz- oder Knieleiden schließen. Die Kriminalisten schüttelten ihr die raue Hand, was die schwäbische Bäuerin jedoch eher als lästig empfand, wie Linkohr konstatierte.
»Ich weiß nichts«, wehrte sie gleich ab und verließ sofort wieder den Raum, ohne sich überhaupt anzuhören, was der Grund des Besuchs sein könnte. Von draußen drang noch immer wildes Bellen ins Haus. Cyras konnte sich offenbar nicht beruhigen .
Als sich die drei Männer gesetzt hatten, versuchte Häberle, ein sachliches Gespräch zu beginnen. Er versicherte dem Alten, dass sich keinerlei Verdacht gegen ihn richte und man nur gekommen sei, um das Umfeld und die Situation im Tal zu beleuchten. Doch allein dies genügte, um den Eugen auf hundertachtzig zu bringen. Er schlug mit der geballten Faust auf die Plastiktischdecke. »Wenn hier einer Dreck am Stecken hat, dann ist es der Steinberg-Schorsch oder sein missratener Sohn. Oder die Weiber dort drüben.«
Linkohr war auf die weiteren Reaktionen gespannt.
»Wir wissen, dass es gewisse Spannungen gibt«, entgegnete Häberle, wurde aber sofort unterbrochen: »Spannungen«, der Alte knallte wieder die Faust auf den Tisch, »Händel sinds, Händel über drei Generationen, Herr Kriminalrat!« Das Gesicht des Bauern wurde knallrot, die Falten warfen finstre Schatten. »Anschläge bei Nacht und Nebel. Reifen zerstochen, Kratzer im Lack – lesen Sie die Akten!« Er sprang auf und ging zum Fenster. »Zig Gerichtsverhandlungen hats gegeben! Aber die Justiz ist nicht in der Lage, dem Tagdieb da oben das Handwerk zu legen. Fragen Sie den Richter in Göppingen, den Doktor Stohrer – der hat sich auch nicht getraut, den Steinberg-Deppen lebenslänglich einzusperren.«
Häberle seufzte in sich hinein. Er wollte nicht nachfragen, wie oft sich die beiden
Weitere Kostenlose Bücher