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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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war. »Darf ich dich auch mal was fragen?«
    Allein schon der Klang ihrer Stimme hatte ihn erschreckt. »Du darfst mich immer fragen«, antwortete er gereizt.
    »Was ist gestern geschehen? War es so schlimm?« Sie fasste ihn am linken Unterarm und schaute ihm fest ins Gesicht.
    »Wie kommst du denn da drauf?«, entgegnete er eine Spur zu schnell. »Was soll schon geschehen sein? Außer, dass man mir wieder mal gesagt hat, ich sei zu nichts zu gebrauchen.« Sein Magen rebellierte.
     
    Das Gefühl im Bauch war so wie damals, als er, der kleine Lehrbub, gemerkt hatte, dass der Traum von der großen Karriere zerplatzen würde. Und jetzt war er wieder in Ulm, wieder am Ort des damaligen Geschehens. Mein Gott – er rechnete zurück. Dezember 1967 wars gewesen.
    An 1967 konnte er sich noch lebhaft entsinnen – während für ihn damals das Kriegsende zu früher gezählt hatte. Weit zurück. Vor seiner Zeit. Je älter er wurde, desto häufiger fielen ihm solche Vergleiche ein. Und dann legte er den Maßstab nach vorne an. Was würde in weiteren 22 Jahren sein? Wie schnell würden sie vergehen? Ihm kam ein Mann in den Sinn, ein damals alter Mann, der ihm 1975 gesagt hatte, dass die Zeit mit zunehmendem Alter schneller vergehe. Der Mann war zu der Zeit 55 gewesen. Was war schon die Zeit? Vermutlich war sie nichts weiter, als der endlose Strom des Universums, der alles mit sich reißt, der jeden gnadenlos wegspült – und beseitigt. Ja, beseitigt.

18
     
    Häberle mochte diese dunkle Jahreszeit überhaupt nicht. Jetzt wars gerade mal 18 Uhr und längst stockfinstre Nacht. Sie waren zum Auto hinabgegangen, wo die Bereitschaftspolizisten inzwischen ihre Suchaktion eingestellt hatten. Specki wollte noch zur Dienststelle fahren und sich um die familiären Verhältnisse von diesem Grauer kümmern. Er verabschiedete sich deshalb und verschwand mit einem weißen Polo in der Dunkelheit.
    »Wir schaun nochmal zu denen rauf«, entschied Häberle und deutete in Richtung Eulengreuthof. Er startete den Audi, während Linkohr auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Die Scheinwerfer glitten über die Betonplatte des Stallneubaus, streiften Geräte und Maschinen und leuchteten dann den Asphaltweg aus, neben dem der Bürocontainer und das Dixi-Klo standen.
    »Sie waren schon mal da oben?«
    Häberle stieß einen Laut aus, der zum Ausdruck bringen sollte, dass diese Frage absurd war. »Sie nicht?«, fügte er hinzu.
    »Ich hab nur alles Mögliche gehört«, entgegnete Linkohr, als der Audi an der Weggabelung nach links schwenkte.
    »Sie werden gleich noch viel mehr hören«, prophezeite sein Chef und gab Gas. »Haben Sie eigentlich etwas von dem Unfall gehört, von dem der Steinberg-Schorsch gesprochen hat? Dass der Neffe vom Eulengreuthof verunglückt sei?«
    Linkohr schüttelte den Kopf. Nach wenigen hundert Metern zeichneten sich in der Nebelsuppe beleuchtete Fenster ab. Sie markierten den Giebel des Wohnhauses, das den Stallungen und Scheunen vorgesetzt war. Häberle reduzierte das Tempo und ließ den Wagen in die breite Hofflä­che rollen. Die Scheinwerfer trafen auf einen alten Traktor und einen abgetakelten Mähdrescher, der unter dem weit ausladenden Scheunendach vor sich hinrostete.
    Augenblicklich schoss zwischen den Maschinen ein zähnefletschender Schäferhund hervor. Die Kette, die unterhalb des Dachvorsprungs an Rollen lief, räumte ihm einen weiten Aktionsradius ein, stellte Linkohr sofort fest. Er hasste Hunde, vor allem aber ihre Besitzer, deren Standardsatz meist lautete: »Der tut nichts.«
    Der Hofhund gebärdete sich wie eine Bestie, kläffte und zerrte an der Kette, als wolle er sich strangulieren. Häberle beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und drehte den Wagen gleich wieder in Fahrtrichtung. Dabei achtete er darauf, dass der wild gewordene Hund nicht bis zu den Autotüren herankommen konnte. »Wenn der sich losreißt, zerfleischt er uns«, meinte Linkohr. Es war ironisch gemeint, klang aber eher ängstlich.
    »Was ist denn hier los?« Eine Männerstimme übertönte das pausenlose Bellen. Unter der beleuchteten Tür des Wohnhauses stand ein Mann in Arbeitsklamotten.
    »Das ist er«, murmelte der Kommissar seinem Kollegen zu und eilte voraus.
    Der alte Eulengreuthofbauer blickte den beiden Besuchern mit versteinerter Miene entgegen. »Was wollen Sie von mir?« Es klang unfreundlich und abweisend, verbittert und zornig.
    Der Chefermittler verlangsamte seinen Schritt und hob beschwichtigend die Arme. »Entschuldigen Sie die

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