Beweislast
Innere des Hauses zogen. »Du Feigling, komm raus.«
»Hau bloß ab«, dröhnte ihm eine Männerstimme aus einem der Zimmer entgegen. Augenblicke später stand der Steinberg-Schorsch wie ein Fels in der Brandung vor ihm. So aufrecht er nur konnte, kam er auf seinen Widersacher zu, der einen halben Kopf kleiner und deutlich älter war. »Was erlaubst du dir eigentlich? Verlass sofort mein Haus!«
»Nichts werd ich«, schallte es ihm entgegen, »nichts. Du hast heut Nacht meinen Hühnerstall aufgemacht – und jetzt sind die Hennen raus. Ich sag dir …« Seine Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen, die Augen blitzten, »… ich sag dir: So leicht kommst du mir nicht davon.«
»Du bisch doch et richtig im Kopf«, giftete ihn der Schorsch an, »du bisch doch völlig neben dr Kapp. Du hascht Wahnvorstellungen – und ich persönlich werd noch dafür sorgen, dass sie dich nach Schussenried tun.« Gemeint war das psychiatrische Landeskrankenhaus im Oberschwäbischen.
Eugen ließ sich davon nicht beeindrucken. Er kam sogar noch einen Schritt näher an Schorsch heran. »Dass eines klar ist«, giftete er, »dass du den da unten totgefahren hast, ist für mich ein klarer Fall. Und womöglich hast du auch meinen Ulrich auf dem Gewissen.«
Schorsch, der Steinberghof-Bauer, war für einen Augenblick wie gelähmt. Er rang nach Luft und Worten. »Wenn du jetzt nicht augenblicklich meinen Hof verlässt, lass ich dich von Faro zerfleischen.« Der Hund, der normalerweise lammfromm vor der Scheune lag, tobte noch immer.
»Soll das schon wieder eine Morddrohung sein?«, brüllte der Alte, sodass über dem Kragen des blauen Arbeitskittels die Adern am Hals anschwollen. »Willst du mich also auch endlich beseitigen, wie den Kerl dort vom Arbeitsamt? Ihn hast du zum Schweigen gebracht – und Ulrich auch. Bei mir wird dirs nicht gelingen. Denn ich hab alles, was ich über dich weiß, aufgeschrieben.« Seine Stimme hatte etwas Triumphierendes und über sein Gesicht huschte ein kurzes Lächeln. »Du brauchst dir also keine Mühe zu machen und für mich einen Unfall ausdenken.«
Schorsch stand fassungslos mit halb geöffnetem Mund im Flur. »Sag das noch mal – und ich schlag dich auf der Stelle tot.«
Der Eulengreuthof-Bauer zuckte mit den Schultern, drehte sich um und eilte ins Freie hinaus, wo inzwischen sein Traktor die Luft dick mit Dieselabgasen angereichert hatte. Eugen war gerade im Begriff, auf seinen Fahrersitz zu klettern, als ein weißer Audi in den Innenhof einbog, hinter der Zugmaschine stoppte, und zwei Männer ausstiegen, die er kannte. Dieser Häberle und sein Adjutant, dachte er und hielt in der Bewegung inne. Auch Schorsch, der seinem Widersacher zur Tür gefolgt war, hatte die Besucher wahrgenommen. Und Faro tobte weiter.
»Grüßt Gott, die Herren«, lächelte der Chefermittler, trat zwischen die beiden Männer und musste husten, weil ihm die Dieselabgase die Luft nahmen. Linkohr blieb an der Beifahrertür des Audis stehen.
»Ein Versöhnungsgespräch oder eine neue Runde im Krieg der Höfe?«, höhnte Häberle weiter und sah kritisch von einem zum andern. Seine Bemerkung schien nicht gut angekommen zu sein. Eugen Blücher machte eine abwertende Handbewegung und erklomm seinen Sitz. »Fragen Sie doch den. Der kann Ihnen sicher eine Menge erzählen«, rief er dem Kommissar zu, legte einen Gang ein und drehte im weiten Bogen um, was Faro mit blutrünstigem Zähnefletschen und wildem Bellen quittierte. Erst als Eugen mit höllischem Vollgas den Hof verlassen hatte, kam der Schäferhund zur Ruhe.
»Nicht mal Faro mag den Deppen«, stellte Georg Knoll fest.
»Was wollte er denn von Ihnen?«, erkundigte sich Häberle, während nun auch Linkohr näher kam.
Georg, den alle Schorsch nannten, atmete tief durch und verschränkte die Arme. »Die Hennen sind ihm abgehauen – und jetzt solls ich g’wesen sein. Der hat doch eine Macke.
Ich versteh nicht, dass man solch gemeingefährliche Menschen frei rumlaufen lässt.«
Häberle wollte nicht darauf eingehen. Er mied es, sich in diesen seit Jahr und Tag schwelenden Streit einzumischen. Schon gar nicht heute.
Die Abgase verzogen sich unter der Nebelsuppe nur langsam. »Wir müssen uns leider um unseren Fall kümmern«, versuchte der Kriminalist das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken. Er vergrub die Hände tief in den Taschen seiner beigen Freizeitjacke. »Dieser Herr Ketschmar, Sie kennen ihn – er ist Kunde bei Ihnen –, der hat uns
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