Beweislast
entsinnen konnte, hatte sein Schwiegervater keinen Dachgepäckträger auf dem Golf.
»Sag mal, was willst du eigentlich damit sagen?«
»Gar nichts. Ich versetz mich nur in die Lage der Kriminalpolizei. Die werden nach jedem Detail fragen, und somit auch, was der Spanngurt im Kofferraum soll.«
»Und was hat das mit diesem Grauer zu tun?« Gerhard schien noch immer nicht begriffen zu haben. Oder er konnte es perfekt verbergen, dachte sein Schwiegersohn.
»Kannst du dir das nicht denken? Grauer wurde nach dem Unfall erdrosselt – steht so in der Zeitung. Ich weiß zwar nicht womit, aber die Kripo wird sich für alles interessieren, was sich dazu eignet.«
Der Kranke sank in seinen Kissen zusammen. Sein Gesicht schien im hellen Licht der Leuchtstofflampe, die hinterm Bett brannte, noch fahler geworden zu sein.
»Sie werden mir das anhängen«, flüsterte er und schloss die Augen. »Mir! Wenn du tief unten bist, lassen sie dir keine Chance mehr, Manuel.« Er behielt die Augen geschlossen. »Es ist aus.«
Er konnte nicht einschlafen. Im Fernsehen plauderte Beckmann mit irgendeiner Filmschauspielerin, deren Namen er nie zuvor gehört hatte. Aber die Frau tat so, als ob ihre Lebensgeschichte die Welt bewegte. Und sie beantwortete Fragen, die keiner gestellt hatte und die überdies vermutlich auch keinen interessierten. Er hasste diese allabendlichen Talkshows, in denen nur selten die wahren Werte des Daseins angesprochen wurden. Es waren in seinen Augen nur Selbstdarstellungsveranstaltungen – Plattformen für Stars und Sternchen und für ewige Wichtigtuer. Wenn dies die Sendungen waren, die die Zuschauer wollten, dann brauchte man sich nicht zu wundern, dass die Gesellschaft immer oberflächlicher wurde. Dabei war Beckmann noch einer der besseren ›Talker‹ – einer, der sich fundiert vorbereitete. Und vielleicht hätte er eine Talkshow pro Woche noch akzeptiert, doch seit fast jeden Tag auf irgendeinem der Kanälejemand auf einer Chaiselongue saß, um seine gar schreckliche Geschichte zu erzählen, kotzten ihn diese Sendungen an. Aber was, verdammt noch mal, machte er sich jetzt über so etwas Gedanken. Warum trieb ihn sein Unterbewusstsein von einem Thema zum anderen – als ob in seinem Gehirn eine Katastrophe geschehen wäre, ein Chaos. Kaum hatte er sich ablenken wollen und krampfhaft einen neuen Gedanken gefasst, schien er ihm wieder zu entgleiten – hin zu dem einzigen Punkt, der ihn seit vielen Stunden beherrschte. Er versuchte zu verdrängen, ungeschehen zu machen, abzutauchen, zu verschwinden. Weg von dieser Welt, in eine andere Dimension, die es ganz sicher gab. Dort, wohin die Zeit geht und wohin sie kommt. Jenseits des Erfassbaren und Erfühlbaren.
Er hatte schon viel darüber gelesen. Darüber, dass Glaube Berge versetzen kann. Darüber, dass der Mensch mit der Macht seiner Gedanken die Zukunft gestaltet, sie aus der Energie seiner Gedanken sozusagen materialisiert. Hatte er zu viel Schlechtes gedacht? Hatten seine Ängste ihn dorthin gebracht, wo er jetzt war? Hatte er zu wenig auf diese Energien und Mächte vertraut, von deren Existenz er doch so sehr überzeugt war? Hatte er je an einen Schutzengel geglaubt? Er schickte ein Stoßgebet zu dieser unendlichen Macht und Kraft, die hinter diesem Universum steckte. Einerseits hatte er nie ernsthaft an ihr gezweifelt, andererseits war er viel zu sehr Techniker und mit der mathematisch-physikalischen Welt verbunden, als dass er sich mit den Zeremonien vertraut machen konnte, die Menschen für den Umgang mit Gott ersonnen hatten.
Und dennoch hatte ihn gerade der Einblick in die wunderbaren Geheimnisse von Materie und Energie, wie sie die Quantenphysik bot, näher zu der Überzeugung gebracht, dass hinter allem ein Schöpfer stehen musste. Und wenn es den gab, dann stand auch hinter allem ein Sinn. Auch wenn er diesen jetzt und heute, in dieser Novembernacht, nirgendwo zu erkennen vermochte. Außer, dass er in einen Sog geraten war, in eine nach unten gerichtete Spirale. Es schien ihm wie damals, als er noch Kind war und er oft von einem Albtraum geplagt war. Von dem, dass ihn irgendeine große Maschine zu zermalmen drohte.
27
Linkohr hätte sich beinahe auf die Zunge gebissen. Er konnte sich gerade noch verkneifen, sein: ›Da hauts dirs Blech weg‹ loszuwerden, das ihm bis vor einem Jahr noch regelmäßig als Ausdruck höchsten Erstaunens entwichen war. Dann jedoch hatte es ihm seine Freundin Juliane abgewöhnt.
Aber das, was einer
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