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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sodass Häberle zurückweichen musste. »Jetzt hat dieser Staat erreicht, was er will, stimmts?«, schrie er unerwartet los. »So einfach ist das. Ein paar angebliche Beweise – und schon reichts, um so einen Arbeitslosen einzusperren.«
    Häberles Begleiter kamen näher. »Beruhigen Sie sich bitte«, bat Häberle. In diesem Augenblick kam Chrissi wieder in den Raum und reichte Häberle den Telefonhö­rer. »Mein Mann möchte mit Ihnen sprechen.«
    Der Kommissar hielt den Hörer ans Ohr, meldete sich und lauschte, was ihm Manuel Traknow zu sagen hatte.
    »Natürlich dürfen Sie zugegen sein«, antwortete Häberle, »wann können Sie hier sein?« Er schaute auf die Armbanduhr. »Geht klar«, bestätigte er und fügte hinzu: »Vielleicht sollten Sie mit Ihrem Schwiegervater ein paar Worte reden.« Er reichte den Hörer weiter. Der Mann sagte einige Male »ja« und »okay«, bedankte sich schließlich und drückte die rote Austaste. Dann schloss er die Augen und flüsterte: »Ich komm mit.«
     
    Ketschmar war ohne Abschied aus dem Haus gegangen und den Beamten wie in Trance in den VW-Kleinbus gefolgt.
    Er musste auf der mittleren Rückbank Platz nehmen, wo sich drei Kriminalisten wortlos zu ihm setzten. Linkohr fuhr, Häberle lehnte sich in den Beifahrersitz. Die Scheibenwischer kämpften gegen den wieder stärker gewordenen Regen.
    Der Wagen rollte durch das Wohngebiet hinüber zur Bundesstraße.
    Ketschmar hielt den Kopf tief gesenkt, um von außen nicht erkannt zu werden.
    Sie hatten ihn abgeholt. Wie er es seit fast einer Woche befürchtet hatte. Ja, er hatte sich hineingesteigert, er hatte es kommen sehen. Er hatte sich seine Zukunft mit der Kraft der eigenen Gedanken gestaltet. Er war in die Opferrolle förmlich hineingewachsen. Der Abstieg hatte mit seiner Entlassung begonnen – und sich zu einer immer steiler werdenden, nach unten gerichteten schiefen Ebene entwickelt. Sein Schwiegersohn Manuel war auch nur einer von denen, die in diesem System groß geworden waren. Wo nur Schriftsätze und Fakten zählten. Nicht die wahren, die inneren Werte, die Überzeugung, der feste Glaube an etwas, an dem man sich orientieren konnte und wofür man sein Ziel mit großem Engagement verfolgte. Seit es sich nicht mehr lohnte, auch Zeit für Dinge zu opfern, die nicht mit der Stechuhr oder nach den Maßstäben eines weltfremden, gewinnorientierten Unternehmensberaters oder Betriebswirtschaftlers zu beurteilen waren, weil sie sich nicht rechneten, – ja, seither hatte er die Freude an der Arbeit verloren. Und nicht nur er. Das hatte er in Gesprächen mit ähnlich Betroffenen in den vergangenen Monaten erkennen müssen.
    Verdammt, warum dachte er jetzt an dies alles? Er hob kurz den Kopf und sah in die Gesichter seiner drei Bewacher, die vielleicht gerade mal halb so alt waren wie er. Sie taten ihre Pflicht, keine Frage. Woran mochten siejetzt denken? An den Feierabend? Ans Wochenende? An die Freundin? Frau? Jedenfalls, so dachte er, waren es Kerle, die auch keine Ahnung von früher hatten. Dass sie in einer Zeit groß geworden sind, deren wirtschaftliche Basis seine Generation gelegt hatte. Und jede Generation, so schoss es ihm durch den Kopf, schuf ihre jeweils eigene Zukunft.
    Zu fragen, was wäre gewesen, wenn dieses oder jenes nicht so gelaufen wäre, erübrigte sich deshalb. Was wäre gewesen, wenn man das Auto nicht erfunden hätte, oder den Fernseher, oder den Computer? Mit allem, was in der Vergangenheit geschehen war, wurden Weichen gestellt, die den Fluss der Menschheit jeweils in eine andere Richtung gelenkt haben.
    Und jetzt war wieder so eine Weiche gestellt worden. Für ihn ganz persönlich. Ketschmar schloss die Augen, er fröstelte. Und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er nach dem Gespräch in der Polizeidirektion nicht einfach würde gehen können. Sein Puls raste. Sie würden ihn in eine dieser Zellen sperren, die es im Keller des Polizeigebäudes gab. Irgendwann hatte er darüber in der Zeitung gelesen. Die Weichen waren gestellt.

36
     
    Sie hatten ihn in die zweite Etage irgendeines dieser Gebäude gebracht, die den umzäunten Komplex der Polizeidirektion Göppingen bildeten. Der Verdächtige war ihnen willig gefolgt, hatte auf den Boden geschaut und mit einem nie gekannten Gefühl aus Scham, Zorn und Angst gekämpft. Eigentlich konnte er gar keinen klaren Gedanken fassen. Als sie in Häberles Büro angekommen waren, gab der Chefermittler den Kollegen zu verstehen, dass er und Linkohr mit ihm alleine

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