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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Sie hatten ihn über die Steintreppen ins Untergeschoss des Polizeireviers geführt, wo er widerstandslos in den weiß gefliesten Raum getreten war, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Grelles Licht einer an der Decke vergitterten Leuchtstoffröhre, nur diffuse Tageshelligkeit durch die Milchglasscheibe eines ebenfalls vergitterten kleinen Fensters. Davor eine gemauerte Liege, zwischen deren erhöhtem Fußende und der Wand eine abgerundete Tischplatte montiert war. Alles fest verankert, wie es schien. Selbst der Hocker ließ sich nicht bewegen. Und auch die deckellose, glänzende Toilettenschüssel erweckte den Eindruck, vandalensicher zu sein. Spülwasser gab es nur auf Anforderung über die Sprechanlage, womit verhindert werden sollte, dass Häftlinge ihre Zelle unter Wasser setzen konnten. Aus Sicherheitsgründen musste Ketschmar den beiden Uniformierten seinen Hosengürtel abgeben – eine reine Vorsichtsmaßnahme gegen Selbstmordversuche. Er tat, wie ihm befohlen, jetzt außerstande, etwas zu sagen. In der vergangenen halben Stunde war so viel über ihn hereingebrochen, dessen Tragweite er noch nicht hatte begreifen können.
    Er stand wie versteinert in diesem winzigen Raum und hörte wie aus weiter Ferne die Stimme eines der Beamten: »Herr Häberle lässt Sie holen, sobald Ihr Anwalt eingetroffen ist.« Dann verließen die Uniformierten den Raum. Die Tür rastete ein und deutlich hörbar wurden zwei Metallriegel vorgeschoben. Aus.
    Ketschmar setzte sich auf die weiße Matratze, auf der eine dünne braune Decke lag, und starrte zu dem kleinen Fenster, das offenbar in einen Lichtschacht mündete. Er fühlte sich plötzlich schlecht, spürte das Herz rasen und streckte sich aus. Er schloss die Augen und wünschte, alles sei nur einer dieser Horrorträume, aus denen man irgendwann erleichtert erwachte. Doch das hier war kein Traum, sondern bitterer Ernst. Er hörte Häberles Stimme nachhallen, die ziemlich sicher geklungen hatte. Indizien hätten sie, hatte er gesagt – und offenbar gab es noch mehr, viel mehr, als der Kommissar ihm bisher mitgeteilt hatte.
    In seinem Kopf drehten sich die Ereignisse der vergangenen Wochen. Vorstellungsgespräche, diese widerlichen, selbstherrlichen Manager, der Sturz ins Bodenlose, am Auto der Blechschaden, der sich nicht beweisen ließ. Hinzu kam die Tatsache, dass er den Ermordeten kannte – und auch den Bauleiter, dessen Bürocontainer am Tatort stand. Und natürlich hatten sie DNA gefunden.
    Hundert Mal hatte er davon gelesen und erfahren, dass man damit noch nach Jahrzehnten Mordfälle aufklä­ren konnte. Ein Haar, eine Hautschuppe oder eine winzige Menge Speichel genügten, um einen Verdächtigen mit einer Vergleichsprobe als Täter überführen zu können. Aber wenn sich Häberle so sicher war, dass sein Speichel beim Toten gefunden wurde – woher hatten sie eine Vergleichsprobe? Man hatte ihm doch gar kein Blut abgenommen? Ketschmar lag auf dem Rücken und ließ sich von der grellen Leuchtstoffröhre blenden – bis sich Schleier und Kringel zu bilden schienen, die vor seinen Augen tanzten. Die Stille, die ihn umgab, war geradezu tödlich. Er war abgeschnitten von der Welt, von den anderen, von der Gesellschaft. Die solch einen, wie ihn, nicht brauchte.
    Ketschmar spürte, wie sein Magen und sein Darm rebellierten. Er kämpfte dagegen, schluckte, atmete schnell – und würgte. Er sprang auf, schaffte es gerade noch zu der Toilette – und übergab sich hustend, keuchend, Luft schnappend. Er war mitten in die Hölle geraten.

37
     
    Häberle war zu den Kollegen in den Lehrsaal rübergegangen, wo heftig über die Festnahme diskutiert wurde. Linkohr hatte von den Ereignissen der vergangenen Stunde berichtet, weshalb sich der Chefermittler auf das vorläufige Resümee beschränkte: »Es sieht ganz danach aus, als ob damit unser Fall geklärt sei … auch wenn es noch einige Dinge am Rande des Geschehens gibt, die möglicherweise noch einen gewissen Aufklärungsbedarf erfordern. Aber einen vernünftigen Zweifel dürfte es nicht mehr geben.«
    Speckinger, gerade von seinen Ermittlungen zu dem Brandanschlag auf den Bürocontainer zurückgekehrt, sah es ähnlich. Er hatte sich auf einen der Schreibtische gesetzt und meinte: »Das Feuer da draußen vergangene Nacht hat mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts mit unserem Fall zu tun. Kann ein Racheakt gegen die Baufirma gewesen sein – oder gegen den Bauleiter, weil er vielleicht jemanden rausgeschmissen oder irgendjemanden

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