Beweislast
machen oder zu schweigen. Die Festnahme an diesem Nachmittag sei aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Göppingen erfolgt, nachdem ein hinreichender Tatverdacht vorliege. »Am besten«, machte Häberle weiter, »ich erläutere Ihnen, worum es geht.«
Ketschmar stützte seinen blassen Kopf mit beiden Händen unterm Kinn ab; die abgewinkelten Arme ruhten mit den Ellbogen auf der Tischplatte.
Der Chefermittler schilderte, wie er dies im Laufe des Nachmittags schon einmal vor seinen Kollegen getan hatte, was sich aus seiner Sicht am vergangenen Freitagnachmittag in diesem Tal zugetragen haben musste.
»Das erste Mal, dass wir richtig stutzig wurden«, erklärte er, »das war, als wir Herrn Ketschmars Wagen gesehen haben – mit einem Unfallschaden, der zu dem Vorfall an der Baustelle passen könnte.«
Sofort hakte der junge Anwalt ein. »Sie sagen: passen könnte. Passt er – oder passt er nicht?«
Häberle bemerkte, dass er seine Worte überlegt wählen musste. »Passen könnte – es ist genau so, wie ich sage. Die Sachverständigen sind sich darüber nicht einig. Und Kontaktspuren haben sich keine gefunden.«
Manuel machte sich Notizen, während ihn sein Schwiegervater wortlos von der Seite ansah. Auch Linkohr schrieb etwas auf.
»Bedauerlich ist«, fuhr Häberle fort, »dass sich der Unfallschaden nicht nachvollziehen lässt. Er sagt zwar, dass er bei diesem Steinberghof gegen Baumstämme gestoßen sei – doch sind diese Stämme ausgerechnet tags darauf sofort umgeschichtet und dabei erheblich angeschrammt worden. Eine Spurensuche wäre zwecklos gewesen.«
»Also eine nicht widerlegbare Aussage des Herrn Ketschmar«, stellte Manuel sachlich und emotionslos fest. Wieder notierte er etwas.
»Ich gebe zu«, lächelte Häberle milde, »dies allein würde keinen Juristen überzeugen. Auch nicht, dass Ihr Schwiegervater das Opfer kennt und mit ihm wenige Stunden zuvor noch im Göppinger Arbeitsamt zusammen war … Vermutlich nicht gerade auf freundschaftliche Weise, wie man sich denken kann …«
Manuel unterbrach ihn vorsichtig: »Wer in diesem Alter auf Jobsuche gehen muss, wird im Arbeitsamt kaum Grund für Freudentänze haben …«
Häberle wollte auf diese Bemerkung nicht eingehen. »Auch, dass Herr Ketschmar zu dieser Baustelle da draußen einen kleinen Bezug hat, ist in unserem Fall nicht von Bedeutung.«
»Entschuldigung«, unterbrach Manuel wieder, »diesen Bezug, von dem Sie reden – wie ist der zu verstehen?«
Häberle verschränkte die Arme vor einem etwas zu engen blauen Hemd. »Er hat sich dort wohl mal vorgestellt. Eines von vielen erfolglosen Vorstellungsgesprächen, wie wir wissen.«
»Ich versteh nicht ganz, dass Sie diese Tatsache überhaupt in Ihre Überlegungen mit einfließen lassen«, entgegnete Manuel. Ketschmar neben ihm schloss immer wieder die Augen und atmete schwer.
»Es mag bei der Gesamtbetrachtung später eine Rolle spielen«, erwiderte Häberle genauso wortgewandt. Seine Stärke war es, mit den Kleinganoven auf der Straße ebenso reden zu können wie mit den Anwälten, die manchmal vor Arroganz strotzten. Traknow aber, das hatte er sofort bemerkt, war überaus höflich und genau, und keiner von jener Sorte, die ihren Mandanten nur als Steigbügelhalter für ein paar weitere Stufen auf der Karriereleiter nutzten. Allerdings hätte dies Traknow bei seinem Schwiegervater vermutlich auch nicht wagen können.
»Woran wir aber nicht vorbeikommen«, erklärte Häberle sachlich, »das ist das Ergebnis der Gentechnik. Wir haben am Pullover des Opfers Speichel von Herrn Ketschmar gefunden.«
Der Anwalt sah vorsichtig und fragend zu seinem Schwiegervater hinüber.
»Ich versteh nicht ganz«, begann er erneut mit seinem Lieblingssatz, einen Einwand zu formulieren. »Sie haben Herrn Ketschmar bereits eine Vergleichsprobe entnommen?«
Richtig erkannt, dachte Häberle und zollte dem messerscharfen Verstand des Anwalts insgeheim Respekt. »Sie wissen«, lächelte er, »es bedarf keinesfalls einer Blutprobe. Wir haben uns – um es mal so zu formulieren – auf einfache Weise analysierbares Genmaterial beschafft.«
Traknow wollte nicht nachfragen. Eine Antwort darauf würde sie ohnehin nicht weiterbringen. Er wandte sich an seinen Schwiegervater: »Du brauchst jetzt dazu nichts zu sagen. Wenn es aber eine logische Erklärung dafür gibt, dann wäre der Augenblick günstig, sie jetzt abzugeben.« Er überlegte. »Oder willst du zuerst unter vier Augen mit mir reden?«
Ketschmar
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