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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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verbringen würde. Irgendwann hatte er einmal davon gelesen, dass die Ulmer Untersuchungshaft nicht gerade eine moderne Einrichtung sei. Vier Mann in einer Zelle. Toilette nur mit Vorhang abgeteilt. Gemeinsames duschen im Keller.
     
    Was war nur schief gelaufen? Hätte er am Sonntag auf Manuel gehört und sich sofort bei der Polizei gemeldet, um den Schaden am Auto zu erklären – wäre dann alles anders gekommen? Hätten sie ihm geglaubt? Es wäre so gewesen, wie es in seinem Leben immer war. Man hätte ihm aus seiner Ehrlichkeit einen Strick gedreht. Wie oft hatte er versucht, gradlinig und offen Fehler und Versäumnisse zuzugeben. Doch schon in der Schule war man mit Lügen und Heimlichtuereien weiter gekommen. Die Lehrer hatten damals zwar immer Zivilcourage gepredigt – doch wenns drauf ankam und er ein paar Mal offen und ehrlich seine Meinung gesagt hatte, dann galt er als aufmüpfig und ungezogen. Und später, als er Lehrbub war, da galt dies erst recht. Anstatt ihn dazu zu erziehen, Fehler einzugestehen, hatten sie das Gegenteil getan: Wer zu den Tatsachen stand, wurde bestraft. Weil diese entwaffnende Ehrlichkeit nicht zum Weltbild mancher Herrschaften passte. Was also war ihm übrig geblieben, als sich durchzumogeln? Als Fehler zu verheimlichen? Auch später auf dem Bau, als Chef eines Großprojekts, hatte er gegenüber den Managern und Geschäftsführern tunlichst nur schöngeredet, wenn etwas schief gelaufen war. Wer konnte und wollte schon Unangenehmes hören? Vor allem aber, es akzeptieren? Was half im Alltagsleben schon das Sprichwort, wonach überall dort Späne fliegen, wo geschafft wird? Die, die darüber zu befinden haben, lassen ja ohnehin niemals selbst die Späne fliegen. Die Weichen dazu waren schon damals gestellt worden – frü­her. Damals, als die Generation der Zupacker und Schaffer langsam abtrat. Zwar schien dieser Kommissar auch seiner Generation anzugehören, aber was konnte einer allein gegen ein System tun, das nur noch aus Paragrafen und Formularen bestand, in dem eine gewaltige Bürokratie alles niederwalzte, was sich ihr in den Weg stellte? Auch ihn. Wenn nicht mal sein eigener Schwiegersohn es schaffte, ihn davor zu retten – wer sollte es denn tun?
     
    Während der Kleinbus im allabendlichen Berufsverkehr in Richtung Schwäbische Alb staute, weil es rund um Geislingen keine einzige leistungsfähige Verkehrsverbindung gab, spürte er einen unbändigen Zorn in sich aufsteigen. Er saß als Gefangener in diesem Wagen und war auf der Fahrt ins Gefängnis – während Lügner, Betrüger und Bestochene zuhauf fürstlich lebten, Konzerne regierten und in der Politik Karriere machten. Doch kein Einziger von denen würde jemals in seine Lage geraten. Keiner. Im Gegenteil: Die ganz Großen konnten sich meist elegant aus der Affä­re ziehen – mit millionenschweren Abfindungen oder mit neuen attraktiven Jobs. Aber einer wie er wurde abgeholt. Einfach so. Haftbefehl. Die Vorstellung, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, ohne Handy, ohne die Möglichkeit, jemanden zu treffen, brachte seinen Puls zum Rasen. 33 Kilometer bis Ulm, las er auf einem Wegweiser. 33 Kilometer bis zum Ende. Ihm war sterbensschlecht. Er hätte sich übergeben, wäre etwas in seinem Magen gewesen.
     
    Das Medieninteresse war nicht besonders groß. Dr. Wolfgang Ziegler, der Leitende Oberstaatsanwalt aus Ulm, war nach Göppingen gekommen, um über die erfolgreiche Aufklärungsarbeit der Sonderkommission zu berichten. Doch zu seiner großen Enttäuschung hatte außer dem Vertreter der örtlichen NWZ und einer Journalistin der ›Stuttgarter Zeitung‹ niemand Interesse bekundet. Uli Stock, dem Pressesprecher der Polizeidirektion Göppingen, war es offenbar in den vergangenen Tagen gelungen, die Journalisten auf Distanz zu halten. Die anfänglichen Spekulationen, die Tat könnte etwas mit der Agentur für Arbeit zu tun haben, hatten sich schnell gelegt. Es hielt sich das Gerücht, der als Einzelgänger geschilderte Friedbert Grauer sei wohl das Opfer einer Beziehungstat geworden. Möglicherweise habe er seltsame Kontakte übers Internet gepflegt. Kein sonderlich spektakulärer Fall jedenfalls, wie die meisten Journalisten meinten.
    Die Pressekonferenz fand in einem größeren Besprechungsraum statt. Den beiden Medienvertretern saßen die Vertreter der Ermittlungsbehörden gegenüber: Ziegler, Pressesprecher Stock, der Leiter der Polizeidirektion sowie Kripochef Helmut Bruhn. Häberle, der Veranstaltungen

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