Beweislast
Grasnarbe stand, die zur Baustelle hin noch übrig geblieben war. Eugen Blücher, wie immer unrasiert und ungekämmt, ließ den Dieselmotor laufen und stieg aus. »Wo ist hier der Chef?«, brüllte er in den Lärm, den das drehende Betonsilo eines Lastwagens verbreitete, der rückwärts an die Längsseite des betonierten Fundamentsockels heranrangiert war. Niemand konnte Blücher hören, weshalb er energisch am Kran entlang zu den Männern stapfte, die an der linken vorderen Ecke des künftigen Schweinestalls gruppiert waren und sich gestikulierend gegenseitig etwas zu erläutern schienen. »He«, rief Blücher wieder, »he – Chef, komm her.« Endlich hatte ihn einer der Männer bemerkt und Simon Eckert mit einer Handbewegung zu verstehen gegeben, dass da jemand zu ihm wolle. Eckert erkannte sofort, mit wem ers zu tun hatte. Seit sie hier raufgezogen waren, was jetzt bereits über vier Wochen her war, hatte sich dieser Querulant vom Eulengreuthof schon mehrere Male wie ein wild gewordener Stier gebärdet. Mal war ihm die Straße zu schmutzig, dann hatte man ihm angeblich mit Baumaterial und Fahrzeugen die Durchfahrt erschwert. Eckert wollte vor dem Architekten und dem Chef dieser Transportbetonfirma einen Eklat vermeiden. Nur deshalb war er dem Alten, dessen blauer Arbeitsanzug völlig durchnässt war, ein Stück weit entgegengegangen.
»Wenn das nicht augenblicklich aufhört«, wetterte Eugen Blücher und ließ seine Augen gefährlich blitzen, »dann sorg ich dafür, dass Sie Ihr blaues Wunder erleben. Dass wir uns da richtig verstehen!«
Eckert hatte schon beim ersten Mal lernen müssen, dass dem Mann bei Ausbrüchen dieser Art mit Vernunft nicht beizukommen war. »Wo brennts denn diesmal?«, fragte er deshalb ohne Begrüßung zurück – und musste sich insgeheim eingestehen, dass diese Frage nach dem Brandanschlag der vergangenen Nacht vielleicht doch nicht so passend war. Aber Blücher schien diese makabre Doppeldeutigkeit überhaupt nicht kapiert zu haben.
Der Landwirt, dessen Atem nach Alkohol und Rauch roch, trat so dicht an den Bauleiter heran, dass er ihm mit dem Zeigefinger energisch auf die Brust tippen konnte. »Wenn deine nichtsnutzigen Arbeiter nochmal bei mir Eier klauen, komm ich mit dem Bulldog und schieb dir deinen Scheißdreck hier über den Haufen«, tobte der Alte los. Eckert ging einen Schritt zurück, um sich den aufgebrachten Landwirt vom Leib zu halten.
»Sag deinen Schwarzarbeitern«, brüllte Blücher, als wolle er sämtliche Baustellengeräusche übertrumpfen, »sag denen, ich schlag sie tot, wenn sie sich nochmal bei mir oben blicken lassen.«
Für Eckert war diese Drohung nichts Neues mehr. Mindestens einmal die Woche kam es vor, dass Blücher behauptete, die Bauarbeiter würden droben in seiner Hofstelle stehlen. Der Bauleiter wusste inzwischen, dass er sich auf gar keinen Fall provozieren lassen durfte. Er versuchte es deshalb auch heute wieder mit der sanften Tour: »Bitte regen Sie sich nicht auf …«
»Halten Sie den Mund«, wurde er unfreundlich unterbrochen, wozu Blücher eine heftige Armbewegung andeutete, die das Ausholen zu einem Schlag befürchten ließ. »Du steckst doch mit denen unter einer Decke.« Er schlug mit dem rechten Stiefel zornig gegen eine blecherne Schubkarre. »Und mit dem Knoll da oben auch.« Er machte eine wütende Kopfbewegung in Richtung Steinberghof. »Meinst du, ich wüsste nicht, was da oben läuft? Ha?«
Eckert sah ihn zweifelnd an. »Ich misch mich in eure Angelegenheiten nicht ein. Was zwischen euch läuft, interessiert mich nicht.«
Blücher schlug erneut gegen die Karre. »Das wird dich aber noch interessieren müssen«, keifte er und grinste gefährlich. Der alte Bauer sah zu dem Bürocontainer hinüber. »An deiner Stelle würd ich auf mein Gelumpe besser aufpassen.«
Der Bauleiter stutzte und war froh, dass der Lkw ihre Gespräche übertönte. »Ich schlag Ihnen vor, Sie lassen mich in Ruhe – und ich lass Sie in Ruhe.«
Blücher grinste noch immer. »Pass bloß auf, dass es dir nicht zu heiß wird.« Er lachte schallend und stapfte mit seinen Gummistiefeln zu seinem alten Mercedes zurück.
Eckert blieb für einen Moment noch stehen und spürte plötzlich den kalten Regen auf seiner Stirn.
38
Monika Ketschmar und ihre Tochter Chrissi saßen am Tisch, noch immer unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Vor ihnen türmten sich zerknüllte Papiertaschentücher. »Sie haben ihn geholt – einfach so«, wiederholte Monika
Weitere Kostenlose Bücher