Beweislast
dieser Art meist mied, hatte sich mit dem Hinweis, abschließende Protokolle schreiben zu müssen, entschuldigen lassen. Wenns ums Schreiben von Protokollen ging, hatte Bruhn Verständnis für sein Fernbleiben.
Stock begrüßte die beiden Journalisten, erläuterte den Grund des Hierseins und erteilte dem Oberstaatsanwalt das Wort. Der fuhr sich durchs dichte, weiß gewordene Haar und lächelte die Medienvertreter an. »Ich danke für Ihr Kommen – auch wenn der Fall keine landesweiten Schlagzeilen gemacht hat«, begann er und musste unweigerlich an jenen Fall denken, bei dem Fußballbundestrainer Jürgen Klinsmann in die Schusslinie * geraten war, was zur damaligen Pressekonferenz weit über hundert Journalisten angelockt hatte.
»Es ist uns gelungen, den Mordfall relativ schnell aufzuklären«, fuhr der Staatsanwalt fort. »Wir haben gestern eine Person festgenommen, die dringend der Tat verdächtig ist. Um es genau zu nehmen: Es kann keine vernünftigen Zweifel mehr geben. Der Nachweis über den genetischen Fingerabdruck ist erfolgt. Die Kriminalpolizei hat sehr gute Arbeit geleistet.« Ziegler sah zu Bruhn hinüber, der sein rundes Gesicht zu einem breiten Lachen verzog, was selten passierte.
Dann erläuterte der Staatsanwalt die Zusammenhänge, ohne jedoch die Beteiligten beim Namen zu nennen, und hatte den Fall nach zehn Minuten abgehandelt. »Vielleicht kann der Herr Bruhn noch ein paar Sätze dazu sagen.« Der Kripochef musterte die Journalisten, die er seit Langem kannte. »Wir haben es mit einem Mann zu tun, der den Erkenntnissen zufolge zu Aggressivität neigt, die sich in bestimmten Situationen in Gewaltattacken gegen Personen äußert. Als er heute vor einer Woche, am frühen Abend, rein zufällig sein Opfer getroffen hat, hat sich sein Affektstau entladen«, dozierte Bruhn. »Was dies bedeutet, erfahren Sie häufig bei Gerichtsverhandlungen, wenn Psychiater ihre Statements abgeben. Ganz normale Menschen können unter dem Eindruck jahrelang aufgestauter Aggressionen plötzlich zu Handlungen hingerissen werden, die ihnen niemand zugetraut hätte.«
»Sie meinen«, unterbrach die Vertreterin der ›Stuttgarter Zeitung‹, »Sie meinen, der Täter ist gar nicht schuldfähig?« Bruhn, über diesen Einwand wenig erfreut, wollte nicht darauf eingehen: »Dies zu entscheiden, ist nicht unsere Sache.«
Ziegler bekräftigte: »Herr Bruhn hat recht. Die Schwurgerichtskammer wird darüber zu befinden haben.« Der Journalist der örtlichen NWZ machte deutlich, dass er mehr Details wissen wollte: »Ich versteh, dass der Täter eine gewaltige Wut auf das Arbeitsamt gehabt hat – bei allem, was Herr Dr. Ziegler erklärt. Aber weshalb treibt sich dieser Grauer um diese Zeit bei diesem Sauwetter da draußen rum? Ich mein, das ist doch nicht schlüssig.«
Ziegler erteilte wieder Bruhn das Wort. »Er hatte sein Auto ein paar hundert Meter entfernt beim Erlenhof geparkt und ist zu Fuß unterwegs gewesen. Das mag etwas seltsam erscheinen, da haben Sie gewiss recht. Aber alleinstehende Menschen sind manchmal wunderlich. Wir gehen davon aus, dass er sich noch ein bisschen die Beine vertreten wollte.« Dass sich Grauer offenbar privat für Baustellen interessiert hatte, war bisher nicht an die Öffentlichkeit geraten. Es wäre deshalb völlig unnötig gewesen, dies jetzt noch hinauszuposaunen, dachte der Kripochef.
»Und dieser Bauernkrieg …«, wandte die Journalistin ein, worauf Pressesprecher Stock das Wort ergriff: »Vergessen Sies bitte.« Er runzelte die Stirn. »Lassen Sie bitte die beiden Verrückten aus dem Spiel. Sobald von denen auch nur ein Wort in der Zeitung steht, geht der Affenzirkus aufs Neue los.«
Ziegler, dem die beiden Landwirte zur Genüge ein Begriff waren, fügte hinzu: »Es wäre der Sache nicht dienlich, würden wir diese Auseinandersetzung hier in Verbindung bringen.«
Der NWZ-Journalist wollte sich damit nicht abfinden. »Sie sind sich also sicher, dass keiner der beiden in das Verbrechen verwickelt ist?« Er wartete keine Antwort ab, sondern fügte vielsagend hinzu: »Und was wäre, wenn doch einer in irgendeiner Weise … ja, sagen wir mal … eine Rolle spielen würde?«
Bruhns Blick verfinsterte sich. »Ich versteh Ihre Frage nicht. Sie ist rein hypothetisch. Wir haben Ihnen die Fakten dargelegt: Genetischer Fingerabdruck, diese Täter-Opfer-Beziehungen, der Blechschaden am Auto – was soll da die Frage, was wäre, wenn?« Es klang energisch und verärgert gleichermaßen, weshalb
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