Bewusstlos
einzuschätzen, dass eine erste Bühnenprobe niemals perfekt sein kann, aber dennoch bin ich ganz anderer Meinung als Sie!«
Weser zuckte zusammen und sagte nichts mehr.
»Was Sie hier verzapft haben, was Sie als Inszenierung angeboten haben, ist eine Frechheit! Eine Publikumsverarschung und ein abgrundtiefes Desaster! Lieber Herr Weser, das geht gar nicht! Ich saß da und dachte, das kann nicht wahr sein, du bist in irgendeiner Schmierenkomödie gelandet, aber du sitzt nicht in deinem eigenen Theater! Was läuft denn da für ein bodenloser Scheiß? Und was haben Sie sich denn nur für ein Bühnenbild zusammenbauen lassen? Sind Sie komplett verrückt geworden? Spielt das in der Reichskanzlei oder in einem Gerichtssaal?«
Weser wollte nur noch nach Hause.
»Es handelt sich bei diesem Stück um einen Kriminalfall, ein Gerichtsdrama«, fuhr Fischer ungerührt fort und redete wie zu einem Schwachsinnigen. »Eine steinreiche Witwe ist ermordet worden, der Mann, der sie beerben soll, gerät unter Mordverdacht, und seine eigene Frau belastet ihn schwer. Bla, bla, bla. Was soll ich Ihnen die gesamte Geschichte erzählen, Sie werden das Stück ja wohl gelesen haben. Dieses Stück ist hochdramatisch, voller Gefühle und Verwicklungen, und darum habe ich es auf den Spielplan gesetzt. Wir erzählen einen der raffiniertesten Kriminalfälle, die je erzählt wurden. Schluss, aus, Ende. Ich bin auch nicht in einem Schwarz-Weiß-Film, darum kapier ich nicht, warum Bühnenbild und sämtliche Kostüme schwarz-weiß sind.«
»Ich wollte …«, begann Weser zaghaft, aber Fischer ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Es ist mir egal, was Sie wollten. Ich bin noch lange nicht fertig!«
Dann fuhr er fort: »Die Zuschauer wollen die Schauspieler sehen, aber das ist in diesem Bühnenbild und in dem Schwarz-Weiß-Irrsinn gar nicht möglich. Ihr Bühnenbild ist kein Bühnenbild, sondern ein Suchbild! Nur die Hauptdarstellerin trägt knallrote Schuhe und knallrote lederne Handschuhe. Tolle Idee! Aber die Idee ist leider bei Schind lers Liste geklaut, lieber Herr Weser, und die Idee ist Scheiße!!!
Und was haben Sie sich dabei gedacht, den Richter in sechs Meter Höhe thronen zu lassen? Ganz abgesehen davon, dass mir bei dem Gedanken, wie viel Holz bei diesem Thron verbaut worden ist, schlecht wird! Kein Wunder, dass die Techniker das nicht umbauen können. Verschieben Sie mal so ein Monumentaldenkmal. Das ächzt und rumpelt und dröhnt, so laute Umbaumusik können Sie gar nicht einspielen!
Und was soll das Affentheater mit dem Richter in luftiger Höhe? Soll das die Zuschauer oder den Angeklagten beeindrucken? Soll es seinen Worten mehr Gewicht geben? Wenn Sie das nötig haben, ist es ein Armutszeugnis für Ihre Inszenierung. Ganz abgesehen davon, dass eine normale Szene mit dem Hansel da oben in den Wolken gar nicht mehr möglich ist.
Und ich dachte, Sie kennen Ihre Pappenheimer mittlerweile ein bisschen. Der von allen völlig überschätzte, aber leider unkündbare Kollege König, der den Richter spielt, ist, wie Sie vielleicht wissen, jeden Abend sternhagelvoll. Der stürzt uns von da oben ja noch zu Tode! Wollten Sie das leidige Problem mit dem Kollegen König auf diese Weise aus der Welt schaffen?
Ich denke jedenfalls nicht daran, dies alles unseren Abonnenten, Gästen und Freunden des Theaters zuzumuten.«
Fischer holte Luft.
»Ganz abgesehen davon, dass dieser gequirlte Schwachsinn eines der teuersten Bühnenbilder aller Zeiten hervorgebracht hat. Und diese dusslige Verengung und Verkleinerung, die einfach nur ein Hirnfurz Ihrerseits und ein uncharmanter interpretatorischer Wink mit dem Zaunpfahl ist, wird niemals klappen. Das gebe ich Ihnen schriftlich. Dazu brauchen Sie hydraulische Schiebe- und Hebevorrichtungen. Die haben sie vielleicht im Pergamonmuseum, um das Markttor von Milet von links nach rechts zu schieben, wenn irgendein Spinner auf die Idee kommen sollte, aber wir hier haben solche Mätzchen nicht.«
Mit jedem einzelnen Wort fühlte sich Weser beleidigt, und er war nicht in der Lage, irgendetwas darauf zu antworten.
»Und mitten in diesem ganzen Humbug waren die Schauspieler natürlich unter aller Kanone. Jeder Einzelne hat sich unter Preis verkauft, weil gegen das Bühnenbild niemand anspielen kann. Sie haben allesamt herumgehampelt wie die Laienspielgruppe aus Kleinkleckersheim am Bach hinter der Kastanie. Das sind nicht mehr meine Schauspieler, die ich für teures Geld eingekauft habe, weil sie etwas können,
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