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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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das ist eine verstörte Truppe, die Sie, und ich betone: nur Sie kaputt gekriegt haben.«
    Es entstand eine längere Pause, bis Fischer schließlich sagte: »Darum schicke ich Sie hiermit nach Hause, Herr Weser. Sie sind die Regie los. Das Stück wird in dieser Inszenierung an meinem Haus auf keinen Fall rauskommen. Was ich mit der nahenden, oder sagen wir mal besser ›drohenden‹ Premiere machen werde, weiß ich noch nicht, aber das soll nicht mehr Ihr Problem sein.«
    Weser hatte das letzte Mal auf dem Bauernhof seiner Eltern geweint, als er in den Misthaufen gefallen war und sich seine Freunde ausschütteten vor Lachen – jetzt sehnte er sich danach, sich mal wieder so richtig auszuheulen, um dieses ganze Elend und die Ungerechtigkeit dieser Welt von sich abzuschütteln.
    Aber er tat es nicht, sondern stand auf, um noch den letzten Rest von Würde zu bewahren.
    »Das war’s dann also.«
    »Ja, das war’s. Leben Sie wohl.«
    Wie ein betrunkener Autofahrer, der aufgefordert wurde, auf dem Strich zu laufen, versuchte er langsam, aufrecht und ohne zu schwanken durch den Raum zu gehen und die Tür zu erreichen.
    Er öffnete sie, drehte sich nicht mehr um – die Kraft dazu hätte er auch gar nicht mehr gehabt –, verließ das Intendantenbüro und wenig später das Theater.
    Fischer rief über die hausinterne Sprechanlage Schauspieler und Techniker, und fünf Minuten später versammelten sich alle auf der Bühne.
    Es war mucksmäuschenstill.
    »Ich habe euch auf die Bühne gebeten, um euch zu sagen, dass Helmut Weser die Regie niedergelegt hat. Wir haben uns in gegenseitigem Einvernehmen getrennt.«
    Niemand reagierte. Nur um Franks Mund zog der Hauch eines Lächelns.
    »Da die Premiere in dieser Form auf gar keinen Fall rauskommen kann, werde ich sie um eine Woche verschieben und die Regie selbst übernehmen. Wenn ein Schauspieler damit ein Problem hat, soll er es mir nachher im Büro sagen. Wir werden dann gemeinsam versuchen, eine Lösung zu finden.
    Bühnenbild und Kostüme sind komplett unbrauchbar. Wir werden versuchen, uns mit dem zu behelfen, was wir im Fundus haben. Die Technik zersägt bitte das Bühnenbild, morgen möchte ich hier eine leere Bühne sehen. Die Schauspieler erscheinen zur morgigen Probe in ihren Privatklamotten, wir werden eben ein bisschen improvisieren.
    Ab morgen wird täglich von zehn bis neunzehn Uhr geprobt, wenn nötig auch länger.« Er sah auf die Uhr. »Ich bitte die Technik heute eine Nachtschicht einzulegen, um das Bühnenbild sofort zu demontieren und abzutransportieren, damit wir morgen vernünftig mit der Arbeit beginnen können. Bitte ruft eure Familien an, weil es später oder auch sehr spät werden wird. Noch Fragen?«
    Niemand meldete sich, niemand sagte etwas, und niemand empörte sich. Alle schluckten widerspruchslos die Änderungen und den damit verbundenen ganz normalen Wahnsinn.
    Nachts um zwei Uhr fünfundvierzig war Schluss, um halb vier war Raffael zu Hause. Er fühlte sich unerträglich nüchtern und hellwach und ging als Erstes in die Küche, um zu sehen, wie viel Bier noch da war.
    Die Küche war blitzblank aufgeräumt und geputzt. Da waren keine Fettflecke auf dem Herd, keine Krümel auf dem Tisch, keine gebrauchten Tassen in der Spüle.
    Er öffnete den Kühlschrank. In der Tür standen noch zwei Bier. Das war ja besser als nichts. Und dann sah er in Lilos Fach den Teller mit dem Fleisch, die Tüte mit den Pilzen und zwei Becher frische Sahne. Erst jetzt fiel es ihm ein. Sie hatten ja heute Abend vorgehabt, gemeinsam zu kochen. Du lieber Himmel, er hatte im Theater keine Sekunde mehr daran gedacht und ganz vergessen, Lilo Bescheid zu geben.
    Ihm wurde übel, wenn er sich vorstellte, wie sauer sie jetzt sicher war. Das konnte er wahrscheinlich nie wiedergutmachen, denn er hatte genau gesehen, wie sehr sie sich am Morgen über seinen Vorschlag gefreut hatte.
    Raffael setzte sich und trank die beiden Biere hintereinander weg.
    Das war alles kein Zustand. Lilo war sicher die nächsten hundert Jahre eingeschnappt, er musste in drei Stunden schon wieder aufstehen, um in dieses Irrenhaus zu gehen, und musste jetzt versuchen, fast nüchtern einzuschlafen. Das war ihm schon ewig nicht mehr passiert, und es machte ihn wütend.
    Er hatte Lust, irgendetwas in dieser klinisch reinen Küche zu zertrümmern, aber dann schaffte er es doch gerade noch, sich zu beherrschen.
    Aber er knallte seine Zimmertür, als er zu Bett ging.
    Sollte sie doch wach werden, es war ihm egal,

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