Bezaubernde Spionin
kalt. Sie hatte diesen Ausdruck schon einmal auf Sir Rupert von Atholls Gesicht gesehen. Damals, nach der Krönung von Jakob Stewart zu König James I. von Schottland, nachdem Rupert von Atholl zum Lordkämmerer berufen worden war. Nach dieser Nacht, in der sie sich so leidenschaftlich geliebt hatten … Aylinn schluckte, als sie entschlossen diese Erinnerung unterdrückte.
Am nächsten Morgen hatte Rupert ihren Vater mit derselben Miene angesehen, als er ihm die Nachricht von der Entscheidung des Königs, ihn, den Herzog von Albany, des Hochverrats anzuklagen, überbracht hatte. Kurz danach war ihr Vater tot gewesen. Und jetzt sah Rupert einen anderen Mann mit demselben kalten, harten Gesichtsausdruck an.
Einen Mann, der in ihrem, Aylinns, Leben, ebenfalls eine große Rolle spielen würde, jedenfalls wenn der Plan von Juliet und Königin Joan Erfolg haben sollte.
Lord Peter Cunningham. Der Gesandte des englischen Königs. Der jetzt die Seite von William Douglas, dem Chieftain der Clans der schottischen Lowlands, verließ, sich dem Thron näherte und mit einer beinahe überheblichen Geste seine Mütze vom Kopf zog, als er sich vor dem Königspaar steif verneigte.
»Sire, Mylady.« Cunningham hatte eine tiefe Stimme, aber sie klang hart und schien einen spöttischen, herausfordernden Unterton zu haben.
Aylinn hielt die Luft an, und ihr Blick zuckte unwillkürlich zu Rupert hinüber. In dessen Wange tickte ein Muskel, und er presste offensichtlich die Zähne zusammen. Ansonsten war seine Miene unbewegt. Nur seine blauen Augen loderten in einem kalten Feuer.
»Lord Cunningham.« Die Stimme des Königs klang unbeteiligt, bar jeder Wärme oder auch nur Freundlichkeit. »Sprecht.«
»Ich möchte um Eure Erlaubnis bitten, Sire, der Tochter des verstorbenen Herzogs Argyll, einem Freund und engen Verwandten des Regenten von England, Herzog John von Bedford, der Lady Aylinn, Herzogin von Albany«, er betonte Aylinns Titel sehr nachdrücklich, »meine Aufwartung machen und ihr die persönlichen Grüße meines Königs Heinrichs VI. übermitteln zu dürfen.«
Als James I. nickte, erhob sich der Gesandte aus seiner fast schon beleidigend angedeuteten Verbeugung und warf einen Blick über die Schulter. »Außerdem würde ich ihr gern bei dieser Gelegenheit Lady Georgina Harrington vorstellen, ebenfalls Gesandte Seiner Majestät des Königs von England und darüber hinaus enge Vertraute des Onkels der Herzogin, des Herzogs von Bedford. Von dem sie der Herzogin ebenfalls persönliche Grüße ausrichten möchte. Zudem wurde ich beauftragt, der Herzogin einen Brief ihres Onkels zu übergeben. Persönlich.«
Als der König wieder nickte, straffte sich Aylinn. Ihr Blick streifte den der Königin. Die braunen Augen von Joan Beaufort funkelten, und ihre Miene war so vollendet ausdruckslos, dass sie förmlich Bände sprach.
Also gut, das Spiel beginnt,
sagte sich Aylinn, straffte ihre Schultern und hob das Kinn, um dem Gesandten zu antworten. Im nächsten Moment jedoch schluckte sie und konnte nur mit Mühe verhindern, die Augen aufzureißen.
Georgina Harrington trat zu dem Podest.
Treten ist das falsche Wort,
dachte Aylinn. Unwillkürlich schoss ihr das Bild eines Luchses durch den Kopf, einer Wildkatze, die sich an ihre ahnungslose, hilflose Beute anschleicht, bereit, sich bei der kleinsten Regung auf sie zu stürzen.
Und auch wenn Aylinn alles andere als ahnungslos war, fühlte sie sich in diesem Moment dennoch hilflos, klein und unbedeutend.
Lady Georgina Harrington war der Traum aller Männer, daran zweifelte Aylinn keine Sekunde. Ebenso wenig konnte jemand bestreiten, dass diese Engländerin der Albtraum der meisten Frauen war. Sie war schlank, nicht zu groß und nicht zu klein, und - ungewöhnlich für eine Engländerin - schwarzhaarig. Zudem hatte sie dunkle, fast schwarz wirkende Augen und einen wundervollen, sinnlichen Mund, dessen volle Lippen sich jetzt teilten, als sie lächelnd vor dem Thronpodest stehen blieb. Aylinn musste sich zusammenreißen, um die Frau nicht anzustarren. Ihr Kleid aus schwarzer Seide und Spitze war schmucklos und eben deshalb vollkommen. Es schmiegte sich beinah unschicklich an den offenkundig recht wohlgestalteten Körper der Frau, aber eben nur beinahe unschicklich. Obwohl ihr Dekolleté von schwarzer Spitze bedeckt war, zeigte es auf eine indirekte, geschickte Weise mehr von ihrem vollen, festen Busen, als es die gewagten Dekolletés manch anderer Frau hier im Thronsaal vermochte.
Doch
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