Beziehungswaise Roman
ein und strafft sich. »Ich versuche das ganze Wochenende freizuschaufeln.«
»Das wäre schön.«
Sie drückt mir ihre Lippen auf meine, packt ihren Koffer am Handgriff und rollt los. Ich schaue zu, wie sie auf den Bahnhof zugeht. Kurz bevor sie die Eingangstüren erreicht, dreht sie sich um und kommt wieder zurück, was wildes Fluchen in dem BMW auslöst. Ich schaue mich nach einem Koffer um, kann aber nichts entdecken, was sie vergessen haben könnte. Sie bleibt vor mir stehen, lässt den Koffer los und nimmt mein Gesicht in beide Hände.
»Liebster. Es tut mir wirklich leid, dass ich es dir nicht gleich gesagt habe. Ich möchte nicht, dass du ...«
»Du stehst in Hundekaka«, unterbreche ich sie.
Sie schaut nach unten. Ich stupse ihre Nase.
»O Mann«, sagt sie und hebt ihren Blick.
»Lass uns am Wochenende reden.«
Ihre Handfläche streichelt meine Wange. Ihr Blick berührt mich tiefer.
»Dein Zug«, erinnere ich sie.
Sie drückt mir einen Kuss auf den Mund, packt ihren Koffer und rollt wieder los. Sie geht am Taxistand vorbei, bleibt dann wieder stehen und dreht sich um, was ein hysterisches Hupen des BMWs auslöst. Sie lacht blitzend, wirft mir eine Kusshand zu, dreht wieder um und verschwindet in den Bahnhofseingang. Der BMW kommt drohend ein Stück näher gerollt. Ich werfe dem Fahrer einen Blick zu. Er wirft einen zurück. Er will einen Parkplatz. Ich will die alten Zeiten wiederhaben. So hat jeder seine Probleme. Ich öffne die Fahrertür, rutsche auf den Sitz, ziehe die Tür zu, stecke den Schlüssel ins Schloss, doch als ich den Motor starten will, dreht sich mein Handgelenk nicht. Ich beobachte, wie meine Hand auf dem Schlüssel verharrt. China. Ein halbes Jahr. Erst mal.
Kapitel 5
Das Erste, was ich sehe, als ich die Treppen hochgerannt komme, ist ein einsteigender Schaffner. Toll, einmal im Leben ein pünktlicher Zug. Ich sprinte über den Bahnsteig und schaffe es so eben in den Waggon, bevor die Türen sich schließen. Der Schaffner lacht.
»Na, da hat aber einer Verspätung.«
Ich nicke bloß. Kein Grund, ihm sein Glück zu versauen. Wer weiß, wie lange er auf die nächste pünktliche Abfahrt warten muss.
Nachdem ich mich durch fünf überfüllte Wagen gekämpft habe, finde ich die Richtige in der halb leeren ersten Klasse. Sie studiert Akten. Ich lasse mich schwer atmend auf den Sitz neben ihr fallen. Ein paar Fahrgäste heben die Köpfe und werfen Blicke von ihren Sitzen. Schließlich gibt es hier noch genug freie Plätze, da muss man nicht gleich allein reisenden Frauen auf die Pelle rücken.
Tess hebt den Blick und lächelt freundlich. Dann lösen ihre Gesichtszüge sich kurz in Verblüffung auf und setzen sich zu einem überraschten Auflachen zusammen.
»Liebster!«
»Ich wollte dich endlich wiedersehen«, schnaufe ich. Sie deutet aus dem Fenster.
»Aber ... wir fahren.«
Ich nicke ihr anerkennend zu. Sie lacht und zieht meine Hand kopfschüttelnd in ihren Schoß. Die anderen Fahrgäste beobachten uns, jetzt auch lächelnd. Ach ja, so istdie Liebe. Ich lehne mich zu ihr rüber und senke die Stimme.
»Ich schaffe das nicht.«
Sie streichelt meine Hand und lächelt.
»Was schaffst du nicht?«
Ich antworte nicht. Sie braucht einen Augenblick. Dann verblasst ihr Lächeln. Sie legt beide Hände um meine Hand und drückt sie.
»Du fehlst mir doch auch«, flüstert sie.
»Macht es nicht besser, oder?«
»Nein, natürlich nicht, aber ...« Sie verstummt kurz und sucht nach den richtigen Worten. »Es ist wirklich eine große Gelegenheit, in den Markt zu kommen und Kontakte zu machen. Danach steht mir in der internationalen Wirtschaft vieles offen.«
»Ja, klar, aber was ist mit dem anderen Job?«
Ihre Augen gleiten kurz zur Seite, dann fokussieren sie wieder, und sie lächelt verständnislos.
»Mit welchem anderen Job?«
Ich zeige auf sie, dann auf mich. Ihre Stirn kräuselt sich. »Wir sind doch kein Job.«
Ich nicke.
»Schade eigentlich, sonst würdest du dich vielleicht genauso akribisch auf unsere Meetings vorbereiten und ein paar Überstunden einschieben.«
Das verletzt sie. Ich sehe es, und vielleicht wollte ich es. Würde sie in unsere Partnerschaft so viel investieren wie in ihren Beruf, wäre ich der glücklichste Mensch der Welt. Oder auch nicht. Wer soll das schon wissen? Vielleicht hat Stan recht, vielleicht bin ich bloß eifersüchtig. Ich weiß gar nichts mehr, außer dass es uns bestimmt nicht näher bringt, wenn wir auf verschiedenen Kontinenten
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