Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
Vom Netzwerk:
kassierte er Preise, füllte Zweitausender-Hallen und hatte freie Wahl im Sitcom-Bereich. Er entschied sich für eine Polizei-Sitcom. Zwei Bullen, der eine Marke Slegdehammer, sein Pendant der typische deutsche Beamte, dessen Rolle mir vom Sender zugestanden wurde. Beim Dreh stellte der Grandiose sofort klar, wer der Star ist, und ich versuchte die Klappe zu halten, weil es meine große Chance war, an der Seite des Comedypreisgewinners bekannt zu werden.
    Ein paar Wochen ignorierte ich, wie er die Leute behandelte und dass er sich das erlauben konnte, weil ihm alle, einschließlich Regisseur, Producer und Produzent, in den Arsch krochen. Dann eskalierte die Situation. Nach einer Aufzeichnung pickte er sich immer wieder einen seiner weiblichen Fans aus der Autogrammmenge und vögelte sie im Hotel, was kein Verbrechen gewesen wäre, wenn er aufVolljährige gestanden hätte. Als ich ihn mit einer erwischte, die aussah, als sei sie am Tag zuvor vierzehn geworden, gerieten wir aneinander. Am nächsten Tag wurde ich von der Produktion wegen unüberbrückbarer Differenzen von der weiteren Zusammenarbeit freigestellt. Ein Fehler. Von mir. Denn niemand zeigte ihn an. Die Kids wussten genau, was sie wollten, und bekamen es. Und der Grandiose wusste genau, was er wollte, und bekam es ebenfalls. Nur einer bekam nicht, was er wollte.
    Die Serie lief an und wurde ein Erfolg, dennoch wurde sie nach einer Staffel eingestellt, weil der Grandiose so lange über seinen neuen Partner lästerte, bis ein Konzept entwickelt wurde, das ausschließend ihn in den Mittelpunkt stellte. Daraufhin lehnte er sämtliche Drehbücher ab und ging wieder auf Tour. Als er zwei Jahre lang mit demselben Programm getourt und auf allen Sendern in Gastauftritten totgedudelt worden war, wollte ihn keiner mehr sehen. Statt sich Zeit zu lassen, schraubte er über Nacht ein kaum verändertes Liveprogramm zusammen und zog wieder los. Seine Fans brauchten erstaunlich lange, aber irgendwann spürte sogar das TV-Publikum, dass es verarscht wurde, und ließ ihn fallen. Als er keine Quote mehr brachte, erinnerten sich die Veranstalter, Redakteure und Agenturen plötzlich daran, dass er sie wie Scheiße behandelt hatte. Und Tschüss.
    Der Grandiose setzt sich auf seinen Stuhl, schlürft an seinem Kaffee und schaut überall hin, nur nicht zu mir. In der anderen Ecke redet Herr Scheunemann leise auf Kohl ein und macht ihm Mut. So wie der Grandiose seine Chance durch Gier und Arroganz vernichtet hat, hat Kohl seine verzaudert. Als er ohne viel Liveerfahrung gleich sein erstes TV-Casting gewann, konnte er es gar nicht glauben. Er meinte, er sei noch nicht so weit, und wolle sich erst live entwickeln. Der Sender zuckte die Schultern und nahm jemand anderes. Bis heute. Mittlerweile ist er ein richtigguter Comedian geworden, aber eine Show hat er nie bekommen. Kein Produzent will jemanden verpflichten, der an Selbstzweifeln leidet. Ihre eigenen reichen ihnen.
    Ich höre Musik und schreibe meinen Text ein paarmal ab. Währenddessen treffen weitere bekannte Gesichter ein. Einer der Typen ist sogar schlimmer abgestürzt als ich: Er gibt Privatunterricht für reiche Kinder, die glauben, sie sind lustig, Grundgütiger! Ansonsten ist the next generation in der Überzahl. Unter den Kids sind Gott sei Dank auch ein paar Frauen. Zum Glück trägt keine von ihnen ein lustig-doofes Kostüm oder hat ein total blöd-witziges Instrument dabei, das sie nicht beherrscht. Die Quotenfrauen sterben langsam aus, und das wird verdammt noch mal auch Zeit. Nicht dass ich die größte Berechtigung hätte, über talentfreie Comedians herzuziehen, aber die Comedyfrauen der Neunziger haben sogar meinen Berufsstolz verletzt.
     
    Eine Stunde später summt der Saal. Hinter dem Paravent läuft das Casting, der Produktionsassi muss immer wieder rüberkommen und den Nachwuchs ermahnen, doch bitte etwas leiser zu sein. Er könnte genauso gut einen Bären bitten, nicht zu furzen – die Kids zappeln herum, als müssten sie gleich in der Hollywood Bowl auftreten. Ich nippe an meinem Tee, mache ein paar Mundlockerungsübungen und tausche »Weißt-du-noch?«-Blicke mit Kohl, wenn die Kids jemanden euphorisch anfeuern, der zum Casting muss, um ihn dann mit Fragen zu bombardieren, wenn er wieder zurückkommt. Sie sind wie Kinder, die sich auf den Weihnachtsmann freuen. Soll man ihnen den Fake verraten? Nein, das würde ihnen die Freude nehmen. Aber kann man sich mit ihnen freuen? Nein, man weiß zu viel. Also

Weitere Kostenlose Bücher