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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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jeden Zweifel an seiner Potenz auszuräumen.«
    Ich wende mich ab, nicke meinem Spiegelbild zu und zwinge mich, meine Nummer von vorne zu beginnen. Wie geht der Tunnelblick noch mal, den man einsetzt, wenn die erste Reihe im Koma liegt? Oder Satan bekifft am Küchentisch lehnt, jede Bewegung mit missbilligendem Lippenschmatzen kommentiert und bei Fehlern hörbar die Luft zwischen den Zähnen einzieht?

 
Kapitel 9
    Als ich das Hotelfoyer betrete, wirft der Portier mir einen abschätzenden Blick zu. Scheinbar sieht man mir an, dass ich saukomisch bin, denn er deutet wortlos nach links, wo der Festsaal ausgeschildert ist. Ich folge den Schildern und bleibe schließlich im Eingangsbereich des Saals stehen. Der Raum ist durch Paravents geteilt worden. Auf der einen Seite findet das Casting statt. Ein paar Scheinwerfer sind auf eine Wand gerichtet, davor stehen fünf Stühle für die Juroren, keine Anlage, kein Verfolger – nicht mal eine Bühne. Ich war schon auf luxuriöseren Schützenfesten. Auf der anderen Seite befindet sich der Aufenthaltsbereich, in dem sich bereits einige Comedians über das Catering hermachen. Die meisten sind halb so alt wie ich und verbreiten ein aufgeregtes Summen. Wenigstens sind auch zwei Veteranen da. Peter der Grandiose, der nicht so gut ist, wie er glaubt, und Kohl, der richtig gut ist, es aber einfach nicht glauben kann. Sie sitzen an verschiedenen Enden des Raums. Auch nach zehn Jahren in demselben Job, teilweise denselben Shows, verträgt sich Größenwahn immer noch nicht mit exzessiven Selbstzweifeln.
    Neben Kohl sitzt sein Agent Herr Scheunemann. Ein kleiner, höflicher Mann, der mich immer an Charles Aznavour erinnert. Er nickt mir zu. Ich nicke zurück. Eines der Kids entdeckt mich. Er stößt die anderen an, alle drehen den Kopf und mustern mich. Ach, schau, den gibt es auch noch? Nein, scheinbar nicht, denn auch nach fünf Minutenkommt noch immer keiner vorbei, bei dem ich mich anmelden kann, also gehe ich in den Raum, suche mir einen freien Stuhl, nicke Kohl und dem Grandiosen zu, setze mich und beginne meinen Kram auszupacken. Der Grandiose steht auf, kommt rüber und lässt sich auf den Stuhl neben mir sinken.
    »Eigentlich bin ich gar nicht hier«, sagt er und lässt seinen Blick angewidert durch den Raum schweifen. »Ich bin mit der Post auf Tour. Sechs Wochen lang, sieben Auftritte täglich. Gibt gut Geld ...«
    Er lässt eine Pause, damit ich ihn fragen kann, wie viel. »Hallo Peter«, sage ich und beginne meine Tasche auszupacken.
    Er nickt nachdenklich.
    »Na ja, für ein TV-Cast kann man ja mal anrücken, obwohl, es gibt keine Security hier, ich bin einfach durchgelaufen. Al-Qaida könnte jetzt einfach hier reinspazieren und uns in die Luft jagen, scheißegal, Hauptsache der Sender spart ein bisschen Geld.«
    »Ein Dutzend Comedians. Ein herber Verlust für die Menschheit.«
    Er lacht nicht. Stattdessen schaut er mich abschätzend an. »Und was machst du hier? Ist deine Jacht gesunken?« »Winterpause«, sage ich und packe meinen Text aus, den ich immer vor dem Auftritt noch mal abschreibe. Die beste Art, die ich bisher entdeckt habe, um meinem schlechten Gedächtnis nachzuhelfen.
    »So einen Dampferjob könnte ich auch mal versuchen«, sinniert er, auf seiner Unterlippe kauend.
    Wenn er zuvor überhaupt auf der Liste von Leuten gestanden hätte, die ich um einen Job anhauen würde, könnte ich ihn jetzt streichen. Wenn er freiwillig in See stechen will, muss es ihm schlecht gehen. Er hat auch noch kein Mal »grandios« gesagt. Vielleicht holt ihn die Realität langsam ein.
    »Bist du noch bei der Agentur?«
    Ich nicke. Er zögert kurz, dann nimmt er Anlauf und springt über seinen riesigen Schatten.
    »Kannst du mich connecten?«
    Ich schließe den Kopfhörer an den iPod an.
    »Peter, du hast sie abgelehnt, als sie dich wollten.«
    Er lässt seinen Blick wieder durch den Raum flackern. »Ich weiß.«
    Ich setze mir den Kopfhörer auf und warte noch einen Augenblick, ob heute vielleicht der Tag gekommen ist, an dem er sich bei mir entschuldigt.
    »Fünf krieg ich bei der Post«, sagt er. »Und alles frei.« »Gratuliere«, sage ich und drücke auf Start.
    Aus irgendeinem Grund schließt er, dass ich nicht in Plauderlaune bin, steht auf und geht zum Catering, wo er zwei der Kids zur Seite drängelt, um sich einen Kaffee einzuschenken. Als ich mit Comedy anfing, rutschte er gerade mit seinem dritten Soloprogramm in die erste Liga und wurde zur Diva. Zwei Jahre lang

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