Beziehungswaise Roman
Frauenliteraturtext, den ich für heute Abend ausgesucht habe. Er ist lustig, und vor allem nicht intelligent genug, um zum Nachdenken anzuregen – perfekt! Ich muss nur noch ein paarmal Ficken unterbringen ... Wenn ich mich im Text verhaspele, rät Nina mir, langsamer und leiser zu machen, und wenn ich einen richtigen Versprecher habe, rät sie mir, ihn zu wiederholen, um ihn wie einen Verspieler in einem Jazzsolo zu kultivieren. Ich würde ihr auch gerne etwas Sinnvolles sagen, aber sie braucht meine Ansagen nicht. Sie ist erschreckend gut. Ihre Pausen sind zum Niederknien, und ihre Körpersprache übernimmt so viel, dass sie kaum reden muss, um ihre Geschichte zu erzählen. Vielleicht ist das ihr einziges Manko; sie hat keinen richtigen Text, mehr Satzfragmente. Ich krame alte Texte hervor, sie sucht sich einen über Pädagogen aus, liest ihn zweimal durch und spielt ihn dann. Ach, so kann der wirken! Wäre ich ambitionierter, müsste ich sie hassen.
Als sie die Nummer noch mal durchgeht, stockt sie und schaut an mir vorbei. Ich folge ihrem Blick und sehe, dass Arne an der Küchenzeile steht und sich ein Brötchen schmiert. Er trägt ein durchgeschwitztes Unterhemd, die Adern auf seinen Armen treten dick hervor. Scheinbar hat er sich in seinem Zimmer abreagiert. Ninas Augen fangen meine im Spiegel. Ich lächele beruhigend.
»Keine Angst, das ist bloß die Security. Weißt du, Hildebrandt, Mittermeier und Kalkhofe brechen hier ständig ein, um meine Witze zu klauen.«
Sie lacht nicht. Stattdessen wirft sie noch einen scheuen Blick rüber. Ich drehe mich um, lächele Arne an und zeige auf Nina.
»Arne. Darf ich dir Nina vorstellen. Sie macht denselben Dreck wie ich.«
Er ignoriert mich und schmiert weiter. Ich lächele Nina zu. »Innerlich lacht er sich kaputt.«
Sie schaut von ihm zu mir, zu ihm. Wir proben weiter. Eigentlich hätte ich erwartet, dass Arne sich wieder verzieht, aber er setzt sich an den Tisch und schaut uns zu. Nina wirft immer wieder Blicke zum Tisch rüber. Kritik gehört ja zum Geschäft, aber wenn man von einem regungslosen Muskelprotz beäugt wird, dessen Aura einem den Niedergang der Demokratie vorwirft, will das erst mal verdaut sein. Exzellente Abhärtung für heute Abend.
Kapitel 18
Im Eingangsbereich des Veranstaltungssaals erwarten uns zwei Securitys und eine gut gelaunte Frau vom Sender, die uns von einer Liste streicht und dann durchwinkt. Bevor wir den Backstagebereich erreichen, werden wir noch einmal kontrolliert. Anscheinend ist die Al-Qaida-Gefahr gestiegen, jetzt wo das Fernsehen dabei ist.
Wir gehen die Stufen hoch zur Bühne, betreten die Bretter, die die Welt bedeuten, und lassen unsere Blicke durch den Saal schweifen. Über der Bühne hängt das Sessionsmotto, die Jurysitzplätze sind wie der Elferrat angeordnet, alles ist karnevalistisch geschmückt, und dennoch ... Gänsehaut. Man kann jetzt schon erahnen, wie es ist, wenn der Saal voll ist und tausend Gesichter zur Bühne hochschauen. Tausend Gesichter haben schon lange nicht mehr zu mir hochgeschaut. Schon gar nicht wache.
Nina mustert mich von der Seite.
»Gute alte Zeiten?«
Ich nicke.
»Sehr gute, sehr alte.«
Techniker und Strippenzieher wuseln um uns herum. Ein Aufnahmeleiter bittet uns, den Durchgang freizumachen. Nach einem letzten Blick über die Bühne gehen wir backstage, suchen uns eine Ecke, beginnen auszupacken und grüßen in die Runde. Kohl ist schon da und wirkt deprimiert. Herr Scheunemann sitzt neben ihm und versucht auf ihn einzuwirken, doch diesmal hat Kohl sogar Anlasszur Depression: Die restlichen Kollegen sind diesmal eine Klasse besser. Uns gegenüber sitzt Slomo-Manne. Seine Texte sind nicht gut, aber er ist so langsam, dass die Leute vergessen, dass er oft keine Pointen hat. Ich kann mich über ihn totlachen. Humor ist ein seltsames Ding.
Neben ihm sitzt Susanne die Putze. Eine mittelmäßige Comedian, die wegen dem permanenten Frauenunterschuss immer und überall dabei ist, ohne jemals gut gewesen zu sein. Rechts daneben sitzt der Roboter stocksteif auf einem Stuhl. Er hat bestimmt auch einen richtigen Namen, aber den kann sich keiner merken. Seinen Spitznamen hat er, weil er seine Karriere als Roboter-Pantomime begann: Ruckartige Bewegungen, Freeze, maschinelles Sprechen, und auch wenn er mittlerweile normalen Stand-Up macht, hat er den Roboter nie wieder aus sich herausbekommen. Wir haben einige Workshops zusammen besucht, und alle Lehrer bescheinigten ihm perfektes Timing
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