Bezueglich Enten und Universen
Touren durch »Gebäude, die dem Erdbeben in Universum A zum Opfer fielen, aber in Universum B noch existieren« anbot – jedenfalls stand es so in dem Prospekt, den sie mir im Vorübergehen in die Hand drückten und den ich sofort in den nächsten Mülleimer warf. Hätte Tante Henrietta nur dasselbe mit dem Foto vom Tag Y gemacht, würde ich jetzt friedlich an meinem Schreibtisch in
Wagner’s Kitchen
sitzen und mich mit Melonenbällchenausstechern und Brotkästen befassen, statt halb vertraute Gegenden zu durchstreifen, ohne ein einziges Geschäft zu finden, das Süßigkeiten verkaufte.
Universenmacher – was für ein lächerlicher Gedanke.
Was konnte mein sechs Monate altes Ich angestellt haben, das
derart
bemerkenswert war?
Ich sehnte mich nach einem Mindestmaß an Normalität, so unbedeutend es auch sein mochte. Dann bemerkte ich, dass meine Füße meinen Gedanken vorausgeeilt waren. Ich stand vor dem
Coconut Café
.
10
ICH BRECHE EINE REGEL
Der Flachbau hatte nichts Bemerkenswertes an sich. An einigen Stellen blätterte die Farbe ab, an der Innenseite der Fenster klebten Fotos der angebotenen Speisen, draußen standen ein paar Tische unter Sonnenschirmen. Man sah dem Café sein Alter an, schließlich war es schon seit über vierzig Jahren im Geschäft, jedenfalls in Universum A, und zwar immer unter derselben Leitung: Samand. Er war alt, drahtig, oft unhöflich und servierte das beste Mittagessen der Stadt, inklusive Vorspeise und einem Getränk, für achtzig Dollar. Sein
Coconut Café
hatte viele Stürme überstanden, die ausufernde Inflation und die Konkurrenz scheinbar besserer Restaurants mit schickerer Ausstattung und wohlhabenderer Klientel. Samand A hatte sie alle überlebt. Ich war froh zu sehen, dass sein Alter es auch geschafft hatte. Samand B würde, wenn dies hier immer noch sein Café sein sollte, das erste vertraute Gesicht sein, das ich seit drei Tagen sah. Umgekehrt galt nicht dasselbe; er konnte mich nicht erkennen. Aber das war unwichtig.
Die Fenster brauchten vielleicht etwas dringender eine Reinigung, als mein Samand es zugelassen hätte. Ich ging hinein.
Es war schon nach ein Uhr, der größte Ansturm war also vorüber. Ich trat an die Theke und stellte mir das Aroma von brutzelnden Zwiebeln und Gewürzen vor, das die Luft erfüllte, aber natürlich roch ich wie immer gar nichts.
Eine junge Frau, möglicherweise eine von Samands Töchtern, stand hinter der Theke und arrangierte Gebäck. Sie ähnelte keiner der Töchter, die ich von Samand A kannte, seltsam für mich, gut für sie. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie, ohne aufzusehen.
»Ich nehme die italienische Hochzeitssuppe.«
»Tut mir leid, heute gibt es Hühnersuppe mit Nudeln.«
Ich hätte beinahe meine Identikarte fallen lassen. »Wie bitte?«
»Huhn und Nudeln.«
Ich konnte es nicht glauben. Der Name war derselbe, die Bilder in den Fenstern waren dieselben, warum glichen sich nicht auch die Tagesgerichte? Am Montag gab es die italienische Hochzeitssuppe, das war doch schon immer so gewesen – ich schaukelte auf dem Rückweg von der Arbeit oft eine Schüssel davon auf dem Lenker meines Fahrrads mit nach Hause. Huhn und Nudeln, das war etwas, wenn man sich krank fühlte. Aber keine richtige Mahlzeit.
»Also?«, wollte sie wissen, während sie Kokosnussriegel auf einem Teller anordnete.
»Ich nehme ...« – ich warf einen Blick auf die Speisekarte an der Wand, um sicherzugehen, dass sie ein anderes meiner Lieblingsgerichte hatten – »das persische Gulasch.«
»Alles klar.« Sie trat an die Kasse und gab die Bestellung ein. »Das macht dann fünfundachtzig Doll... – ach so, mein Gott, Felix, du bist es ja. Hallo!«
»Äh, hallo.« Ich war sicher, dass ich die Frau noch nie im Leben gesehen hatte.
»Warum hast du denn nicht vorher angerufen?«
»Sie meinen sicher – ich bin nicht er – das heißt, ich
bin
schon Felix, aber ...«
»Wie läuft es denn im
Organic Oven
? Montag ist euer Ruhetag, nicht wahr? Aber ich dachte, dann hättest du Japanischunterricht.«
Es war an der Zeit, das Missverständnis aufzuklären.
»Ich bin nicht Felix B. Ich bin Felix A.«
Sie kicherte entzückt. »Felix, du gerissener Hund, du. Ich weiß ja, dass du Luke und den anderen vom Pokern noch Geld schuldest, aber ehrlich. Das ist ja ein toller Streich. Warte, bis ich Dad davon erzähle. Ich habe mich schon gefragt, warum du in diesen komischen Klamotten rumläufst.«
Ich spürte, wie mir die Röte ins
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