Bezwungen von deiner Leidenschaft: Roman (German Edition)
Rothewells Blick ging wieder zum Fenster hinaus, aber seine Gedanken waren auf die Westindischen Inseln zurückgekehrt, das spürte Camille. Selbst seine Hand ruhte wie erstarrt auf Chin-Chins Rücken.
»Es war eine tiefe Grube«, sagte er schließlich, »wie eine Art Zisterne oder Brunnen. Auf dem Grund stand immer Brackwasser, und wenn es regnete – und Gott, es regnete immer – füllte sich das Loch.«
»Mon Dieu!« , wisperte sie. »Wie bist du herausgekommen?«
»Das konnte man nicht. Man hat einfach gebetet, dass das Wasser nicht zu hoch stieg. Über der Grube lag ein schweres Gitter, und unser Onkel hatte den einzigen Schlüssel dafür. Er hatte das Loch für seine Sklaven angelegt, und nach unserer Ankunft wuchs seine Begeisterung dafür.«
Camille begann zu zittern. »Aber das ist monströs!«, rief sie. »Warum … warum hat ihn nicht jemand aufgehalten?«
Rothewell wandte endlich den Kopf, und sein Blick verband sich mit ihrem. »Jemand?«, fragte er ruhig. »Wer ist Jemand, Camille? Da war niemand, den das verdammt noch mal interessiert hat.«
Sie schüttelte vehement den Kopf. »Non, non«, flüsterte sie. »Das kann ich nicht glauben. Dort gab es Leute … die Gemeinde, den Priester. Einen Richter. Irgendjemanden, der sich um solche Dinge hätte kümmern müssen.«
Nachdem ein Moment verstrichen war, seufzte Rothewell. »Es war ein koloniales Provinznest, Camille. Einmal kam eine Frau zu uns, die die Kirche geschickt hatte – es waren wohl Bedenken aufgekommen, dass Xanthia unter dem Dach meines Onkels aufwuchs – in Anbetracht dessen, was darunter alles vor sich ging –, und man sprach davon, meine Schwester zu einer Familie in Bridgetown zu bringen. Aber es passierte nichts.«
Rothewell löste den Blick von ihr und sah wieder aus dem Fenster.
Sie schwiegen für die Dauer der Fahrt durch die City. Aber als die Kutsche Temple Bar passierte, schien Rothewell sich wie nach einem Traum aufzuraffen. »Bist du glücklich, Camille?«, fragte er. »Am Berkeley Square, meine ich? Du bist zufrieden dort?«
Für einen Augenblick zögerte sie. »Ich hatte nie ein eigenes Heim«, sagte sie. » Oui , ich mag es ganz gern.«
»Ich bin froh darüber. Ich würde nie wollen, dass du unglücklich bist.«
»Aber wenn ich …« Sie verstummte und biss sich auf die Unterlippe.
»Ja?« Er sah sie eindringlich an. »Sprich weiter.«
»Ich habe noch einige Dinge in Limousin. »Sentimentale Erinnerungsstücke, die ich mir gern schicken lassen würde.«
»Aber natürlich. Was für Dinge?«
» Bagatelles , wirklich. Dinge, um … das Haus freundlicher zu machen. Zwei Landschaftsbilder, die ich mag, und einige objets d’art . Ein paar handgestickte Kissen und ein Porträt meiner Mutter. Einige meiner Lieblingsbücher.«
»Noch mehr von deinen trockenen Finanzschmökern, eh?«
Sie brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er sie neckte. »Ein paar, oui .« Sie spürte, dass sie errötete. »Aber auch einige über Geografie und Geschichte – sogar ein oder zwei Romane. Das Haus, weißt du … nun, es fühlt sich ein wenig leer an. Ich weiß, dass du noch nicht lange darin wohnst. Und ich dachte nur, dass …« Sie suchte nach den richtigen Worten.
»Du findest es unbehaglich?«, schlug er vor und begann wieder, nachdenklich den Hund zu streicheln.
»Certainement pas«, widersprach sie hastig. »Es ist ein reizendes Heim und wirklich sehr bequem. Ich hätte sagen sollen, dass ihm nur die rechte Behaglichkeit fehlt.«
Er schien darüber nachzudenken. »Ich glaube, du hast recht«, sagte er, wobei sein Blick wieder auf die eleganten Läden entlang der Straße gerichtet war. »Xanthia und ich würden Behaglichkeit nicht einmal erkennen, wenn wir darüber stolpern. Du solltest das Haus jedenfalls so ausstatten, wie es dir gefällt.«
Ihre Unterhaltung erstarb, und nachdem wenige Minuten vergangen waren, in denen sein Blick aus dem Fenster gerichtet blieb, überraschte er sie damit, dass er seinem Kutscher zurief anzuhalten.
»Warum halten wir?«, fragte sie.
»Es ist eine Überraschung.« Rothewells Stimme klang ein wenig grimmig und rau.
Nachdem die Trittstufen der Kutsche heruntergeklappt waren, stieg er aus und half Camille dann heraus. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern, und Rothewell hob sie aus dem Wagenkasten, als wiege sie gar nichts. Dann drehte er sich um und setzte sie sanft auf dem Bürgersteig ab. Chin-Chin saß noch immer auf der Bank und winselte.
»Oh, sei still!«, ermahnte
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