Bezwungen von deiner Leidenschaft: Roman (German Edition)
auch nur eine davon zu beantworten. Gott sei Dank hatte sie während des kurzen, schlimmen Anfalls, den er noch vor dem Morgengrauen durchlitten hatte, fest geschlafen.
Entgegen Trammels grimmiger Prophezeiung brachte der Morgenspaziergang Rothewell nicht um, ebenso wenig wie die Morgenluft Londons – auch das entgegen seiner lang gehegten skeptischen Befürchtung. Stattdessen trug er eine Menge dazu bei, den Kopf klar zu bekommen. Vor dem Morgengrauen zu Bett zu gehen hatte vielleicht einige Vorteile, auch wenn Rothewell nicht plante, daraus eine Gewohnheit zu machen. Genau genommen bezweifelte er vielmehr, dass er die Dinnerzeit nüchtern erleben oder vor dem ersten Hahnenschrei in seinem Bett liegen würde, vorausgesetzt das Ungeheuer kam heute Nacht nicht schon wieder hervorgekrochen, um seine Eingeweide zu malträtieren.
Eine Ehe, so hatte Rothewell beschlossen, begann man am besten so, wie man sie in Zukunft zu führen gedachte. Es machte keinen Sinn, Camille glauben zu lassen, dass ihre Ehe die übliche Verbindung von Mann und Frau sein würde – auch wenn sie das nicht unbedingt kümmern würde –, und dass es ebenso wenig Sinn machte, sich selbst zu gestatten, Bedauern zu empfinden. Ein Mensch bekam das, was immer an Zeit Gott ihm zugestand, und Einsicht oder Hoffnung zu spät im Leben zu entwickeln, das würde die Dinge nur noch schlimmer machen. Rothewells Philosophie zufolge machte sich jeder sein Bett selbst – oder sein Grab – und legte sich, ohne zu klagen, hinein.
Rothewell bog in die schmale Gasse zu Tattersall’s ein und traf im Salon für Mitglieder des Jockey Clubs auf seine Freunde, die die Beschreibungen der Pferde studierten, die heute zur Auktion kommen sollten. Tattersall’s war Londons erste Adresse für Auktionen von Vollblutpferden, und Londons verwegenste Jünger des Pferderennsports gingen hier ein und aus. Lord Nash hatte hier praktisch sein zweites Zuhause gehabt.
Heute hatte Nash die Beine in den hohen Stiefeln lässig übereinandergeschlagen, sein dunkler Kopf hatte sich zu Gareth’ hellerem hinuntergebeugt, und beide Männer waren ganz und gar von ihrer Beschäftigung gefangen genommen. Für einen Moment erwog Rothewell, nicht zu stören. Er war froh, dass die beiden zu seinen Freunden geworden waren. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er befürchtet, es könnte nicht möglich sein, denn beide Männer hatten sich einst in seine Schwester Xanthia verliebt. Aber der dunkle und schneidige Lord Nash hatte gewonnen.
Was Gareth anging, so war der jetzt der Duke of Warneham und seit einigen Wochen verheiratet. Und erst wenn er Gareth so sah, wie er jetzt war – verliebt und glücklich –, erkannte Rothewell, wie verzweifelt unglücklich der arme Teufel in all den Jahren davor gewesen war.
Seit vielen Jahren hatten sie fast wie eine Familie gelebt; er, Xanthia und Gareth, vereint durch eine elende Kindheit und ein allgemeines Misstrauen gegen fast jeden Menschen. Und doch hatte Gareth immer einen Teil von sich für sich behalten. Die Wandlung, die sich mit ihm vollzogen hatte, war wirklich enthüllend.
In diesem Augenblick schaute Gareth auf und lächelte, während ein Strahl der Vormittagssonne sich in seinen goldenen Locken fing. Er wurde von den Damen für einen bemerkenswert attraktiven Mann gehalten, wusste Rothewell, und auch heute sah er fast wie der Erzengel Gabriel aus, der auf die Erde gekommen war. Aber Gareth konnte noch immer fluchen wie die Hafenratte, die er war. »Verdammt, wenn das nicht der Teufel höchstpersönlich ist!«, sagte er jetzt. »Und das auch noch vor dem Mittag.«
»Guten Morgen, Gentlemen.«
»Rothewell«, sagte Nash jovial. »Komm zu uns. Ich bin gerade dabei, mich zu ruinieren.«
Rothewell durchquerte den Raum, lehnte seinen Spazierstock an einen Tisch und setzte sich. »Lass dich von mir nicht aufhalten, alter Knabe«, sagte er. »Meine Schwester kann es sich leisten, dir einen großzügigen Lebensstil zu bewahren, würde ich meinen.«
»Ja, ich weiß.« Nash grinste und zeigte seine sehr weißen Zähne. »Ist die Ehe nicht eine wunderbare Sache?«
»Davon hat Rothewell doch keine Ahnung«, wandte Gareth lachend ein. »Noch nicht.«
»Genau genommen bin ich jetzt qualifiziert, eine Meinung zu diesem erhabenen Thema zu haben«, widersprach Rothewell und schaute sich nach einem Diener um. »Gibt es hier irgendwo einen Kaffee, Nash?«, fragte er. »Ich könnte eine ganze Kanne voll davon gebrauchen.«
Nash wies auf niemanden im
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