Bianca Exklusiv Band 0088
einen bezeichnenden Blick zu. “Oder deins.”
Sie holte tief Luft und versuchte diese erschütternde Entdeckung zu verarbeiten. Dawn hatte gelogen, als sie ihr gesagt hatte, dass Carlo nichts wüsste. Und dabei war das eine so wichtige Sache gewesen. In welchen Punkten hatte sie noch gelogen?
“Wann hat sie es dir erzählt?”, fragte Carlo ruhig.
“Als sie starb. Sie sagte, du wüsstest es nicht.” Sie wurde von ihren Gefühlen überwältigt und ließ den Kopf in die Hände sinken. Carlo setzte sich neben sie aufs Bett.
“Serena, hast du immer noch nicht begriffen, dass du Dawn nicht wirklich kennst?”, wollte er von ihr wissen.
“Ich fange langsam an, es zu verstehen”, gab sie zu. “Seit ich hierhergekommen bin, ist vieles passiert, was mein Bild von ihr verändert hat. Die Art, wie Primo über sie geredet hat …” Sie schaute rasch auf. “Ist er …?”
“Louisas Vater? Ja.” Carlo verzog den Mund. “Dawn hatte besonders viel Spaß daran, mir das zu erzählen. Hast du nicht bemerkt, wie ähnlich sich die beiden sind? Nicht im Aussehen, sondern im Verhalten. Er wird sich irgendwann umbringen, und Louisa auch, falls ich sie nicht daran hindern kann.”
“Sicher wirst du ihr irgendwann einmal die Wahrheit sagen?”
“Welche Wahrheit?”, fragte er eindringlich. “Sie ist meine Tochter, weil ich sie liebe und für sie sorge. Das ist die Wahrheit, die einzige, die sie jemals hören wird.”
“Wirst du dieses Wissen den Rest deines Lebens mit dir herumtragen können?”
“Ich kann alles tun, wozu ich mich entscheide. Ich habe mich vor zwei Jahren dazu entschlossen, und ich habe es niemals bedauert.” Er warf ihr einen scharfen Blick zu. “Wirst du mir Schwierigkeiten machen?”
Serena schüttelte den Kopf. Sie war erschüttert von der Größe, die dieser Mann bewiesen hatte. Sie hätte ihm gern gesagt, wie sehr sie ihn für seine noble Haltung bewunderte, aber noch während sie nach den richtigen Worten suchte, stand er auf und ging zur Tür.
“Ich bin froh, dass du verstanden hast”, sagte er knapp. “Jetzt muss ich gehen. Ich habe schon viel zu viel Zeit verschwendet.”
Serena versuchte erst gar nicht, in dieser Nacht zu schlafen. Sie wusste, dass sie keine Ruhe finden würde, denn ihre Gedanken kreisten unablässig um das, was sie an diesem Nachmittag erfahren hatte. Nicht nur, dass Carlo die ganze Zeit gewusst hatte, dass er nicht Louisas Vater war, sondern auch, dass Dawn sie belogen hatte.
Auch der Versuch, sich einzureden, dass Dawn nicht gewusst hatte, was sie sagte, half nicht. Seit sie hier angekommen war, hatten sich die Hinweise gehäuft, dass ihre Cousine anders war, als sie, Serena, es bislang geglaubt hatte. Schließlich hatte sich alles zu einer unumstößlichen Tatsache verdichtet. Dawn hatte sie bewusst getäuscht, und sie, Serena, war darauf hereingefallen.
Und am meisten hatte sie sich jedoch in Carlo geirrt. Sie hatte so viele schreckliche Dinge von ihm angenommen, aber die Wahrheit war, dass er so gütig war, das Kind eines anderen lieber als sein eigenes anzunehmen, als es zu verletzen. Carlo … Sie hatte in seinen Armen gelegen, und sie hatten sich Leidenschaft geschenkt, die mehr gewesen war als nur die Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses. Sie war der Ausdruck des stärksten Gefühls gewesen, das sie jemals erlebt hatte. Sie wehrte sich nicht mehr länger gegen die Erkenntnis, dass sie Carlo liebte. Im Inneren gab sie es sich sogar gern zu. Und dennoch weißt du nichts über den Mann, den du liebst, dachte sie plötzlich. Seine Gefühle für sie blieben ein Geheimnis, vielleicht sogar für ihn selbst.
Serena ging stundenlang auf und ab. Es war mittlerweile Sommer geworden, und ihr Schlafzimmer kam ihr heiß und stickig vor. Sie öffnete ein Fenster und schaute in die Ferne, wo sie immer noch die Lichter von Rom sehen konnte. Ihre Haut schien noch von Carlos leidenschaftlichen Zärtlichkeiten zu brennen. Sie sehnte sich nach ihm und wünschte sich, er wäre hier, in dieser heißen Dunkelheit. Dann könnten sie endlich all die Lügen vergessen, die sie einander entfremdet hatten. Sie horchte gespannt auf ein Geräusch, das seine Ankunft verraten würde, aber es umgab sie nur die tiefe Stille der Nacht.
Schließlich hörte sie doch etwas. Es kam von draußen, und Serena lehnte sich heraus, wobei sie sich völlig ruhig verhielt. Dann hörte sie es wieder. Es war ein leises Weinen, und es kam aus Louisas Zimmer.
Sie hastete ins Kinderzimmer
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