BIANCA EXKLUSIV Band 0173
hatte Beth ihre Mutter verstanden. Sie war vierzehn, als ihre Großmutter ihr alles erzählte.
„Es ist eine alte Geschichte, Elizabeth Lillian“, begann Granny damals. „Vertreter kommt in kleine Stadt, verdreht der Schönheitskönigin mit seinem schmierigen Charme den Kopf, schwängert sie, erfährt, dass er Vater wird, und verschwindet so schnell, wie er aufgetaucht ist.“ Seufzend schüttelte Grandma Lillian den Kopf. „Deine Mom hat das nie verkraftet. Manche Frauen sind eben so. Für die gibt es nur einen Mann im Leben, und wenn der fort ist, bricht es ihnen das Herz. Deine Mom ist noch jung und könnte ein neues Leben beginnen, aber das will sie nicht.“ Beths Großmutter seufzte wieder. „Nein, das stimmt nicht. Sie kann nicht.“
Beth hatte sich geschworen, dass ihr niemals das widerfahren würde, was ihrer Mutter passiert war. Trotzdem hatte sie den gleichen Fehler begangen. Aber wenigstens versteckte sie sich nicht vor dem Leben, weil ein Mann sie im Stich gelassen hatte. Und das würde sie auch nie tun.
Vorsichtig staubte sie die Gitarre ab, deren Saiten längst verrottet waren, und trug sie nach unten. Als Jack sie sah, bot er an, in der Stadt neue Saiten aufziehen zu lassen.
Beth zuckte die Schultern. „Ich kann nicht darauf spielen.“
„Aber ich“, entgegnete er.
Von dem Tag an, wenn am Abend das Licht nicht mehr ausreichte, um zu schnitzen, nahm er die Gitarre und spielte für sie. Manchmal sang er Songs aus den sechziger und siebziger Jahren, und manchmal stimmten sie alle ein – vor allem, wenn er echte Oldies spielte.
Hin und wieder, wenn Beth so glücklich und zufrieden war wie nie zuvor in ihrem Leben, malte sie sich aus, wie es wäre, wenn Jack für immer auf der Farm bliebe. Und jedes Mal verdrängte sie den Tagtraum wieder – bis er sich unweigerlich erneut in ihre Gedanken schlich.
Eines Abends, nachdem die Kinder zu Bett gegangen waren, setzte Beth sich wieder zu Jack auf die Veranda. Sie wusste, dass er sich noch lange nicht schlafen legen würde.
Leise schloss sie die Fliegengittertür hinter sich. „Ich dachte mir, ich trinke noch ein Glas Limonade, bevor ich mich hinlege. Möchten Sie auch eins?“
Er drehte sich zu ihr um. Der Mondschein erhellte sein markantes Gesicht, nur die Augen lagen im Schatten. „Gern.“
Was tust du, Beth? Das fragte sie sich, als sie zwei Gläser füllte und Eiswürfel hineintat. Sie wusste, dass sie mit dem Feuer spielte. Ihn einzustellen, damit er ihr bei der Arbeit half, war eine Sache. Ihn so sehr zum Teil ihres Lebens zu machen, dass sein Weggang ihr und ihren Kindern wehtun würde, war eine ganz andere.
Was sie tat, war unvernünftig, gelinde gesagt. Aber sie tat es dennoch.
Ihr Herz schlug ein wenig zu schnell, als sie sich zu Jack auf die Treppe setzte. Eine Weile sprachen sie nicht, sondern lauschten nur dem Zirpen der Grillen, dem Gezwitscher der Vögel und dem Hund, der irgendwo in der Ferne bellte.
„Haben Sie je einen Hund gehabt?“, fragte Jack.
„Ich selbst? Nein. Aber mein Vater hatte wohl immer viele Hunde. Er war Jäger.“
„War? Ist er tot?“
„Ja.“ Sie zögerte, aber er fragte nicht nach. „Ich habe ihn nie gekannt“, fügte sie dann leise hinzu.
Er drehte sich zu ihr. „Ist er gestorben, bevor Sie geboren wurden?“
„Nein.“ Sie erzählte ihm die ganze Geschichte.
„Dann haben wir etwas gemeinsam“, sagte er, als sie fertig war.
Zunächst konnte Beth sich nicht vorstellen, wie er das meinte. Doch dann fiel ihr ein, was er ihr über seine Mutter erzählt hatte. „Ihre Mutter hat Sie verlassen, als Sie sechs waren, nicht wahr?“
„Ja. Aber ich habe Ihnen nicht die ganze Geschichte erzählt. Mein Vater hat immer behauptet, sie sei bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen, doch das war eine Lüge.“
Beth starrte ihn an. Sie ließ sich von seiner ausdruckslosen Stimme nicht täuschen. Die Wahrheit brannte ihm auf der Seele. „Was ist wirklich geschehen?“
„Sie ist mit meinem Onkel weggegangen – dem Bruder meines Vaters. Sie war schwanger, und mein Vater glaubte nicht, dass das Kind von ihm war, also warf er sie hinaus.“
Beth war empört. Nicht nur darüber, dass seine Mutter einen kleinen Jungen zurückgelassen hatte. Auch darüber, dass sein Vater ihn angelogen hatte. „Und Sie haben sie nie wiedergesehen?“
„Nein.“
„Aber Sie haben doch sicher von ihr gehört?“
„Nein.“
„Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir so leid. Es muss schrecklich
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