BIANCA EXKLUSIV Band 0174
Früher hätte er sie für alles selbst verantwortlich gemacht und nicht das geringste Mitleid gehabt. Durch Dani hatte er Menschen kennengelernt, die vom Leben gebeutelt wurden, hatte die Hoffnungslosigkeit von Armut erlebt, Kinder, deren Lernfähigkeit durch Unterernährung gestört war, Frauen, die durch Gewalttätigkeit verängstigt waren, Männer, die durch eine technisierte Welt den Anschluss verloren hatten, und Kinder, die nur durch Diebstahl und Prostitution überleben konnten.
Einer dieser fehlgeleiteten jungen Menschen stand nun vor ihm, zitternd, schmutzig, halb verhungert, verzweifelt. Und bedauernswert.
„Komm mit“, sagte er.
„Wohin?“, fragte Sheila nervös.
„Erst werden wir dir etwas zu essen besorgen, und dann entscheidest du, was du mit dem Rest deines Lebens machst. Heute Abend wirst du es erst mal warm haben, was morgen ist, hängt von dir ab.“
Skepsis und Hoffnung flackerten in ihrem Blick auf, dann folgte ihm das Mädchen zu seinem Wagen.
Colby griff unsicher nach dem Hörer. Er wollte Dani gern erzählen, dass Megan wieder einen Zahn bekommen hatte. Das letzte Mal hatten sie das gefeiert. Colby vermisste Danis weiches Lachen, ihre Fröhlichkeit, den Klang ihrer Stimme, selbst die Unordnung, die sie verursachte. Und sogar den dummen Kater. Ohne sie kam ihm das Haus kalt vor und einsam. Ohne sie war alles anders.
Zum ersten Mal liebte er jemanden. Aber diese Liebe wurde nicht erwidert. Wie konnte er auch erwarten, dass eine so warmherzige, tolle Frau ihn lieben würde!
Bislang hatte er sich immer mit Arbeit ablenken können. Aber jetzt … Auf einmal kam ihm seine Umgebung viel zu ordentlich und sauber vor, richtig leblos.
Als es klingelte, dachte er, es müsse ein Kurier sein. Er hatte nicht die geringste Lust auf eine dringende geschäftliche Angelegenheit. Im Moment beschäftigte ihn nur eines …
14. KAPITEL
Einen Moment lang dachte Colby, er halluziniere.
„Hallo, mein Sohn“, sagte Kingsley Sinclair, der den Arm seiner Frau hielt. „Dürfen wir hereinkommen?“
Colby schluckte. „Ja, natürlich.“
Eugenia zögerte. „Ich glaube, wir sind hier nicht willkommen“, sagte sie. „Bring mich bitte wieder nach Hause, Kingsley.“
„Wir haben das doch alles durchgesprochen“, sagte der alte Mann ärgerlich. „Wir wollen mit unserem Sohn reden, deshalb sind wir hier. Also bitte, geh jetzt hinein!“
Colby war platt. Noch nie hatte er erlebt, dass sein Vater sich seiner Frau gegenüber so entschieden verhielt.
„Was fällt dir ein, so mit mir zu sprechen?“, giftete Eugenia.
„Du bist meine Frau, und ich erwarte, dass du dich auch als solche verhältst. Also nach dir.“
Zum ersten Mal wirkte Eugenia eingeschüchtert. „Wir bleiben nicht lange“, sagte sie, sobald sie in der Halle waren. Sie presste ihre Handtasche und ein flaches Päckchen an ihre magere Brust.
„Kann ich euch etwas anbieten? Tee, Sherry …“
„Sherry wäre nett.“ Eugenia setzte sich aufs Ledersofa, Kingsley neben sie.
Colby goss Sherry ein. Am liebsten hätte er die Flucht ergriffen, aber als ein Sinclair hatte er gelernt, in allen Situationen Haltung zu bewahren.
Eugenia fragte: „Wo ist denn Danielle?
„Die besucht eine Freundin“, behauptete Colby. Zu seiner Überraschung schien Eugenia enttäuscht zu sein. „Wenn sie gewusst hätte, dass ihr kommt, wäre sie selbstverständlich hiergeblieben.“
„Schade“, sagte Kingsley, „wir wollten ihr nämlich danken.“
„Danken?“ Colby beugte sich vor. „Ich hatte den Eindruck, dass euch meine Frau ganz und gar nicht gefallen hat, am wenigsten ihre ‚Einmischung in Familienangelegenheiten‘.“
Eugenia nahm einen großen Schluck.
„Du hast recht“, sagte Kingsley, „wir waren nicht gerade nett zu deiner Frau, das tut uns leid. Im Nachhinein verstehen wir, dass sie all das nur für Megan getan hat, aber damals hatten wir den Eindruck, sie wollte uns mit den Briefen und Fotos manipulieren.“
„Mit Briefen und Fotos?“
Kingsley schien überrascht. Eugenia reichte ihm ein Polaroidfoto.
Das Bild zeigte die fröhlich lachende Megan in ihrem hübschesten Anzug. Er reichte es Eugenia zurück, die es wieder in ihre Tasche steckte.
„Es gibt noch zwei andere“, erklärte Kingsley, „eins davon steht gerahmt auf unserem Kaminsims.“
Colby staunte.
Kingsley missdeutete das als Ärger. „Ich wusste nicht, dass du davon keine Ahnung hattest, und versichere dir, dass wir nicht vorhatten, dich zu
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