BIANCA EXKLUSIV Band 0174
ohne mit ihm zu reden. Er war offenbar sehr um seinen Neffen besorgt.
„Möchten Sie nicht eintreten?“, fragte sie.
Ihr Haus war klein und alt. Im oberen Stockwerk befand sich ihr Schlafzimmer sowie das Bad, unten das Wohnzimmer, das zugleich als ihr Büro diente, ferner die Küche und eine Kammer mit der Waschmaschine und dem Trockner.
John Westfield zögerte. Doch da er das Gespräch schließlich nicht an der Haustür führen konnte, willigte er ein. „Also gut.“
Anne deutete auf das uralte Sofa, das sie auf dem Flohmarkt gekauft und mit geblümtem Stoff bezogen hatte. „Darf ich Ihnen einen Kaffee oder eisgekühlten Tee anbieten?“
„Nein, danke.“ John, der selbst merkte, wie grob er sich benahm, setzte sich widerstrebend hin.
Sie nahm auf einem Sessel Platz und erkundigte sich: „Was kann ich für Sie tun, Mr. Westfield?“
„Ersparen wir uns diesen überflüssigen Quatsch. Ich weiß, dass mein Neffe hier war und Ihnen Geld gab.“
Anne straffte die Schultern. „Hat er Ihnen das gesagt?“
„Es spielt keine Rolle, wie ich es erfuhr, und …“
„Für mich schon“, unterbrach Anne ihn feindselig und stand auf.
Auch er erhob sich und entgegnete gefährlich sanft: „Wichtig ist nur, dass ich es weiß – und seine Mutter übrigens auch.“
Er trat dicht an sie heran, und sie spürte, dass ihm nicht sehr wohl zumute war. Auf einmal hatte sie das sichere Gefühl, dass er ihr etwas verheimlichte. Etwas, das weder sie noch Tim wissen sollten.
„Was hat Tim Ihnen erzählt?“
John blickte zur Seite. „Ich habe nicht mit ihm gesprochen.“
Wieder spürte sie, dass er ihr auswich, und das erstaunte sie. Im Fernsehen war er ihr als ein sehr geradliniger, unerschrockener Mann vorgekommen. Wieso fürchtete er sich davor, seinen Neffen zur Rede zu stellen?
„Warum nicht?“
Lange schwieg John, bevor er murmelte: „Nun, ich wollte ihn nicht aufregen.“
„Aber mich aufzuregen macht Ihnen nichts aus, oder?“, fragte sie eisig. Er hatte sie bereits verurteilt, bevor er sie kennengelernt hatte, und das hasste sie.
John durchbohrte sie förmlich mit seinen Blicken. „Sie scheinen durchaus fähig zu sein, auf sich selbst aufzupassen.“
„Das kann Tim auch“, fauchte sie. Kein Wunder, dass Tim so enttäuscht war, wenn seine Familie ihn wie einen Schwachsinnigen behandelte!
„Er ist jetzt ganz besonders verwundbar. Sein Vater ist erst kürzlich gestorben, verstehen Sie?“ Irgendwie klang Johns Stimme bittend.
„Das ist mir bekannt“, bemerkte Anne leise und weich.
Überraschung flammte in Johns Augen auf, als er das Mitgefühl Annes spürte. Wieder schwieg er lange, doch er war nicht mehr so verspannt.
Da begriff Anne, dass auch er sehr unter dem Verlust seines Bruders litt. John hatte eine schwere Zeit durchgemacht, und Anne wollte ihn ein wenig trösten. „Das tut mir wirklich sehr leid, Mr. Westfield“, fügte sie hinzu.
„Danke.“ Sie schauten einander an, diesmal ohne Feindseligkeit. Erneut entstand Schweigen, bis Anne es schließlich brach.
„Tim scheint ein netter Junge zu sein.“
„Das ist er.“ John blickte weg von ihrem Gesicht mit den weichen Lippen und der goldfarbenen Haut. Es wäre viel leichter, wenn er Anne Haynes die volle Wahrheit gestehen könnte. Doch das durfte er nicht, weil er damit das Verhältnis zu seinem Neffen und den Wahlkampf gefährden würde. Ich muss hart bleiben, dachte John und sagte: „Ich verlange, dass Sie ab sofort aufhören, für Tim zu arbeiten.“
Anscheinend rechnete er damit, dass sie unverzüglich seinen Befehl befolgte. Sie wusste nicht, ob sie darüber lachen oder sich ärgern sollte. Mit erzwungener Ruhe entgegnete Anne: „Das haben nicht Sie zu entscheiden, Mr. Westfield.“
„Zum Teufel, und ob ich das entscheide“, brauste John auf.
„Nein, nur Tim.“
„Hören Sie, der Junge kann im Moment gar nicht klar denken.“
„Das glaube ich nicht. Und es ist schließlich sein Leben.“
Verbissen starrten sie einander an. Aus dieser Sackgasse gab es scheinbar keinen Ausweg.
Nach schier endloser Stille versuchte John es auf andere Art. „Sie verstehen sicherlich, dass Tim seiner Mutter damit entsetzlich weh tut.“
Anne gab ihm insgeheim recht. Alle Mütter litten, wenn ihre adoptierten Kinder nach ihren leiblichen Eltern forschten. Aber hinter Johns Verlangen, sie zum Aufhören zu veranlassen, musste mehr stecken, als nur die Rücksichtnahme auf seine Schwägerin.
„Und vielleicht würde es Ihrem Wahlkampf
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