Bianca Exklusiv Band 229
davonkommen.“
„Feigling.“
„Ja, ich bin ein Feigling. Mehr, als Sie ahnen, Madam.“
„Nennen Sie mich nicht so.“
„Es ist angemessen.“
„Wenn wir allein sind, bin ich immer noch Dottie.“
„Nein“, widersprach er seufzend. „Dottie ist schon lange fort, und ich kann mich nicht darüber beklagen. Schließlich war ich es, der sie weggeschickt hat.“
Er verließ den Raum, ohne – wie gewöhnlich – formell um Erlaubnis zu bitten.
Dottie verspürte den Wunsch, in Tränen auszubrechen oder mit Gegenständen um sich zu werfen. In letzter Zeit verspürte sie ständig einen gewissen Kummer, der nicht daher rührte, dass sie Mike verloren hatte. Vielmehr tat ihr weh, dass sie Randolph verloren hatte.
Schon an jenem ersten Abend in London, als er sie aus ihrem vertrauten Leben gerissen und verzaubert hatte, waren ihre Gefühle für ihn erwacht. Er war aufregend und gefährlich und erregte ihre Sinne, wie Mike es nie vermocht hatte. Doch in ihrer Naivität und Unwissenheit hatte sie bisher nicht erkannt, dass es der älteste Zauberbann der Welt war, mit dem er sie belegt hatte. Manchmal ertrug sie es kaum, bei ihm zu sein. Doch noch schlimmer war es, wenn er nicht bei ihr war.
Während hinter den Kulissen die Vorbereitungen für den Staatsbesuch vorgenommen wurden, der in sechs Wochen stattfinden sollte, wurde Dotties wachsende Popularität mit Hilfe von Reisen durch das Land weiter ausgebaut. Schon bald war ihr Terminkalender übervoll mit Besichtigungen von Krankenhäusern, Fabriken, Schulen und anderen öffentlichen Institutionen.
Oftmals musste sie auswärts übernachten. Es waren für Dottie vergnügliche Unternehmungen, bei denen sie ihre Hofdamen besser kennenlernte. Die meisten waren jung und lebenslustig, mit Ausnahme von Alicia Gellin, einer älteren Witwe mit dem Ruf eines alten Drachens. Doch Dottie hatte die Einsamkeit hinter der barschen Fassade erkannt und sie daher ernannt.
Es erwies sich als eine äußerst gute Wahl. Alicia hörte mehr Gerede als der gesamte restliche Hofstaat zusammen, hatte Verwandte im ganzen Lande und bildete daher eine unerschöpfliche Informationsquelle.
Nach den Besichtigungen fanden stets Dinner mit den lokalen Würdenträgern statt, bei denen Dottie sich in Konversation üben konnte. Es war für sie geistig sehr anstrengend, da sie sich stets neue Themen einfallen lassen musste.
Nach dem Dinner saß sie gewöhnlich mit ihren Hofdamen beisammen und plauderte mit ihnen, während sie sich insgeheim fragte, was Randolph gerade tun mochte, der sie aufgrund dringender Arbeit nie auf ihre Reisen begleitete.
Eines Tages nahm ihr Chauffeur in einer fremden Stadt eine falsche Abzweigung und geriet in ein Viertel, das Dottie wie aus einem bösen Traum erschien.
„Hier ist ja alles abgebrannt“, bemerkte sie und stieg aus dem Wagen. „Warum tut denn hier niemand was?“
„Weil der Stadtrat das ganze Geld genommen hat“, verkündete eine mürrische Stimme in der Nähe. Sie kam von einem schäbig gekleideten Mann, der in einer der Häuserruinen zu leben schien.
„Erzählen Sie mir davon“, forderte Dottie ihn auf.
Die Häuser gehörten der Gemeindeverwaltung und waren schon vor Jahren niedergebrannt. Die Regierung hatte Geld zum Wiederaufbau zur Verfügung gestellt, doch der Stadtrat stritt endlos darüber, welche Abteilung es ausgeben durfte, und die ehemaligen Bewohner blieben obdachlos.
Während der Mann sprach, versammelten sich immer mehr Leute und beobachteten gespannt Dotties Reaktion.
Ihre Eskorte, die eine gewalttätige Auseinandersetzung fürchtete, schickte sich an, sie eiligst wegzuführen. Dottie sah, wie zynisch die Mienen um sie herum wurden. Alle waren überzeugt, dass sie sich abwenden und das Elend vergessen würde. Impulsiv hob sie die Hände und rief: „Keine Sorge! Ich werde das regeln! Das verspreche ich.“
Die Menge jubelte ihr zu.
„Da haben Sie in ein Wespennest gestochen“, bemerkte Alicia am Abend, als sie im Hotel beisammen saßen. „Sternheim ist der große Drahtzieher in dieser Gegend. Die Stadträte sind größtenteils mit ihm befreundet. Er deckt sie, und sie tun, was sie wollen.“
„Warum schlägt die Lokalzeitung keinen Krach?“, fragte Dottie.
„Sie gehört ihm.“
Es überraschte Dottie nicht, bei ihrer Heimkehr am nächsten Tag zu erfahren, dass Sternheim dringend mit Randolph konferiert hatte.
„Sagen Sie nichts“, eröffnete sie, als sie Randolph begegnete. „Die künftige Königin soll keine
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