Bianca Exklusiv Band 243
ruhig, aber ich weiß doch, wie es in dir aussieht. Bestimmt blutet dir das Herz.“
„Nein, das tut es nicht!“
„Sie sieht auch gar nicht so aus.“ Die dunkle, angenehme Stimme drang von der Tür zu ihnen herüber. Die beiden Frauen hatten gar nicht bemerkt, dass jemand den Raum betreten hatte. Lia fand als erste die Sprache wieder.
„Adam!“
Der Mann, der dort in der Tür lehnte, sah aus wie ein Hollywood-Schauspieler. Dunkelblondes, gewelltes Haar, hoch aufgeschossen, schlank und muskulös. Er lächelte, als hätte er gerade einen guten Witz gehört.
Ohne zu zögern, trat Lia zu ihm. „Wann bist du nach Hause gekommen?“
„Gestern Abend. Freut mich, dich zu sehen.“ Er strich Lia übers Haar, als sei sie immer noch ein zwölfjähriges Mädchen. Nur von ihm ließ sie es sich gefallen. „Ich habe euch vermisst“, fuhr Adam fröhlich fort.
Annabelle faltete die Zeitung zusammen und musterte die beiden. Neben Adam erschien ihre Schwester klein und zierlich, auch wenn sie sich in letzter Zeit zu einer erwachsenen Frau entwickelt hatte. Ihr Nachbar war so imposant, dass jeder andere neben ihm klein wirkte. Wie immer, wenn Adam von einer seiner Seereisen zurückkam, war er tief gebräunt und seine Haut wettergegerbt. Annabelle spürte das gleiche Gefühl, das sie jedes Mal empfand, wenn sie ihn nach langer Abwesenheit wiedersah: eine Mischung aus Hochstimmung, Groll, Neugier und Erleichterung.
Adam arbeitete als Kameramann bei Marineaufnahmen und war oft monatelang auf den Weltmeeren unterwegs. Die letzte Reise hatte fünf Monate gedauert.
„Hallo, Belle“, sagte er fröhlich und schaute sie aus hellgrünen Augen an. „Wie geht’s?“
Die junge Frau spürte, wie ihr Herz raste.
„Gut“, erklärte sie und versuchte, sich gelassen zu geben. „Willkommen zu Hause.“
„Danke.“
„Wo warst du dieses Mal?“, fragte Lia offen heraus. Ihre Beziehung zu dem Nachbarn war niemals so vielschichtig gewesen, wie jene, die Adam und Annabelle unterhielten.
„Neuseeland“, antwortete Adam, und Lia rief entzückt aus: „Fantastisch! Hast du mir etwas mitgebracht?“
„Lia“, ermahnte Annabelle ihre Schwester, doch Adam lachte laut auf.
„Nicht so schnell.“ Er warf der jungen Frau einen musternden Blick zu. „Darf ich mich setzen?“
Langsam ging er zu einem der Stühle hinüber, und Annabelle bemerkte, dass er einen Stützschuh trug, der das linke Bein vom Knöchel bis zum Knie umschloss.
„Was ist passiert? Hast du dir das Bein gebrochen?“
„Nur eine Verstauchung.“ Der junge Mann machte eine abwehrende Geste. „Nicht der Rede wert.“
„Kannst du damit tauchen?“
„Dann würde es wohl kaum wieder zusammenwachsen.“
„Erzähl mal, wie das kam.“ Lia konnte sich vor Neugier kaum noch zurückhalten. „Hat dich ein Hai verfolgt, der nicht von dir gefilmt werden wollte?“
Adam verzog das Gesicht.
„Nein. Ich bin ausgerutscht, als ich das Deck geschrubbt habe.“
Lia machte ein so dummes Gesicht, dass Adam laut auflachen musste.
„Ich werde wohl eine Zeit lang an Land bleiben müssen“, fuhr er ernsthafter fort. „Ich hoffe, die beiden jungen Damen werden mich währenddessen ein wenig unterhalten.“ Er hatte die Frage an beide gerichtet, doch dabei nur Annabelle angeschaut.
„Klar.“ Lia hatte sich lässig an den Schreibtisch ihrer Schwester gelehnt. „Du brauchst nur zu sagen, was wir für dich tun können.“
Adam schien ernsthaft über die Frage nachzudenken.
„Vielleicht könnten wir in dieser Woche einmal zusammen essen.“
Annabelle nahm schnell einen Stapel Papiere zur Hand und machte sich daran, sie zu ordnen. Am liebsten hätte sie spontan zugesagt. Sie kannte bereits das Gefühl, all seinen Vorschlägen zustimmen zu wollen, und es überraschte sie nicht mehr, doch senkte sie den Kopf, damit Adam ihr nicht ansehen konnte, was sie dachte.
Er war so charmant, dass er von einer Frau alles bekommen konnte. Doch Annabelle hatte mit der Zeit gelernt, nicht mehr ihren ersten spontanen Bedürfnissen nachzugeben.
Schon in der Schule hatte er die Lehrer um den kleinen Finger gewickelt, wenn die ihn wegen einer seiner vielen Streiche mal wieder bestrafen wollten. Eines Morgens war er mit dem Motorrad direkt ins Klassenzimmer gefahren und hatte dem Lehrer eine Fahrt angeboten. Für einen Dollar. Ein anderes Mal hatte er das Lehrerzimmer in einen Strand verwandelt. Mit echtem Sand, Liegestühlen und allem, was dazugehörte. Doch niemand konnte ihm so recht
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