Bianca Exklusiv Band 243
Nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte sie es übernommen, Lia zu erziehen. Sie hatte hart gearbeitet, um zu einer gewissen Sicherheit im Leben zu gelangen, doch in letzter Zeit bröckelte es an allen Ecken und Enden. Trotzdem war Annabelle wild entschlossen, nicht so einfach aufzugeben. Sicher, es war eine schwierige Zeit, aber die würde sie schon überstehen.
Im letzten Jahr hatte sie sich viel um Empfänge und Partys gekümmert, die Steven veranstaltet hatte. Für seine Karriere war das wichtig gewesen, und da sie bald heiraten wollten, hatte Annabelle das Opfer gern gebracht, auch, wenn sie dabei ihr eigenes Geschäft vernachlässigt hatte. Und das bekam sie jetzt zu spüren.
Die junge Frau rieb sich die Schläfen. Das Hämmern in ihrem Kopf war beinahe unerträglich geworden.
„Irgendetwas stimmt doch nicht“, sagte Adam. „Willst du es mir nicht verraten?“
Wieder gelang es Annabelle, schwach zu lächeln.
„Es ist nichts, danke Adam, wirklich nicht.“
Eine schlechte Phase, mehr nicht, versuchte die junge Frau, sich in Gedanken selber zu überreden. Aber die würden sie auch überstehen. Eine Zeit lang würden Lia und sie den Gürtel ein wenig enger schnallen müssen, doch dann wäre alles wieder in Ordnung. Alles, was sie jetzt brauchte, war eine doppelte Dosis Kopfschmerztabletten.
Annabelle spürte, wie sie unter Adams forschendem Blick rot wurde. Es wurde langsam Zeit für die Verabredung mit dem Konditor, und das würde ihr die nötige Abwechslung bringen. Sie stand auf, wollte gerade eine Entschuldigung murmeln und hinausgehen, als die Bürotür schon wieder aufgerissen wurde, und Lia hereinpreschte. Übermütig schwang sie einen Brief über dem Kopf und rief aus: „Ich hab’s geschafft!“
„Wovon redest du?“
„Vom College.“ Lia schluckte einige Freudentränen hinunter. „Juilliard hat mich angenommen!“
Das Mädchen führte einen wahren Jubeltanz auf.
„Die beste, die angesehenste und die schönste Musikhochschule des Landes. Und sie nehmen mich! Ich kann es einfach nicht glauben.“
Adam hatte seine Verletzung offenbar vergessen. Hocherfreut sprang er vom Stuhl auf, umarmte Lia und wirbelte sie herum.
Die Juilliard-Schule bot in der Tat die besten Karrierechancen im Musikbereich.
Auch Annabelle stimmte in den Jubelchor ein. Wie hatte sie nur vergessen können, dass Lia sich vor sieben Monaten bei der besten Schule des Landes beworben hatte? Bei der besten und leider auch teuersten ! Dazu lag sie auf der anderen Seite des Kontinentes, und Lia würde dort allein leben. Auf einmal spürte Annabelle, wie ihr die Knie weich wurden.
Für Lia ging sicherlich ein Traum in Erfüllung. Sie wollte Pianistin werden, und das vierjährige Studium würde ihr alle Tore öffnen. Doch das hieß auch vier Jahre Studiengebühren, Bücher, Kleider, Essen und eine Wohnung. Annabelle wurde schwindelig. Wie nur sollte sie das bezahlen?
Doch ihre Schwester und Adam jubelten so laut, dass sie gar nicht dazu kam, über diese Frage nachzudenken. Nur das Hämmern in ihrem Kopf war noch stärker geworden.
„Belle, was hast du denn?“
Annabelle bemerkte, wie Adam auf sie zukam, und fühlte sich auf einmal ganz schwach. Das war einfach alles zu viel für sie. Sie stützte sich auf dem Schreibtisch ab, sonst wäre sie wohl zusammengebrochen. Die beiden anderen starrten sie an, und wieder hörte sie, wie Adam ihren Namen rief: „Annabelle!“
Das letzte, woran sie sich noch erinnerte, war, dass sie versuchte zu lächeln. Sie wollte ihrer Schwester gratulieren, doch als sie den Mund öffnete, kam ein ganz anderer Satz heraus: „Ich werde das niemals schaffen.“
Und mit diesen Worten sank die junge Frau ohnmächtig zu Boden.
2. KAPITEL
Annabelle hatte den Eindruck zu schweben …
Was für ein wunderbares Gefühl, dachte sie, während sie sich einfach fallen ließ. Schwäche, Wärme, Frieden. Wie lange hatte sie das nicht mehr erlebt! Die letzten Jahre hatte sie stets kämpfen müssen.
Auf einmal spürte sie, wie jemand sie in die Arme schloss und langsam hochhob. Sie fühlte sich unendlich leicht, befreit von all der Verantwortung, die so lange auf ihren Schultern gelastet hatte. Dann nahm sie wahr, dass man sie auf das Sofa legte.
Adams kühle Finger auf der Stirn erinnerten sie an damals, vor sechs Jahren. Liebevoll und zärtlich hatte er sie gestreichelt. Schade, dass sie sich inzwischen die Haare hatte schneiden lassen. Wie schön war es gewesen, als er
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