Bianca Exklusiv Band 243
Annabelle. „Bei den beiden weiß man nie, woran man ist.“
„Und außerdem habe ich gefürchtet, dass du nicht einverstanden sein könntest.“
„Da hast du recht gehabt. Und dabei bleibt es auch. Wir werden gemeinsam essen, sie können das Gästezimmer haben und einige Tage bleiben. Aber das ist alles. Vor allem möchte ich nicht, dass sie sich ins Geschäft einmischen.“
Lia war den Tränen nahe. „Warum bist du nur so hartherzig?“
Ich will über mein eigenes Leben bestimmen, dachte Annabelle. Das hat nichts mit Hartherzigkeit zu tun. Sie wollte Stabilität im Leben, wollte wissen, was am nächsten Tag passieren würde. Und da war kein Platz für solche Überraschungen.
„Ich finde, wir haben schon genug zu tun, als dass wir uns auch noch um die beiden Cousinen kümmern könnten“, erklärte sie so ruhig wie möglich. „Die haben so überdrehte Ideen, damit können wir zurzeit wirklich nichts anfangen.“
Schon als Kind hatte Annabelle sich stets davor gefürchtet, was Evelyn und Jessie wohl als nächstes aushecken würden. Sie wollte gerade das Tablett aufheben, um das Essen hinüberzutragen, als Adam auf sie zutrat. Er legte ihr eine Hand auf den Unterarm und sah sie freundlich an.
„Ich mach’ das schon“, sagte er. „Und versuch, dich zu entspannen. Wenn die Cousinen deines Vaters den Eindruck haben, dass hier alles in Ordnung ist, wird es leichter sein, sie zur Heimreise zu überreden.“
Sie sah ihn dankbar an. In seinen Augen lag ein so beruhigender Ausdruck.
Gemeinsam gingen sie ins Esszimmer hinüber. Adam trug das Tablett, Annabelle hielt ihm die Tür auf, und dann folgte Lia. Wie eine richtige Familie.
Kaum hatten sie den Raum betreten, sprangen Evelyn und Jessie vom Sofa auf. Sie stürmten auf Lia zu und umarmten sie herzlich. Dann wandten sie sich dem Mann zu, der das Tablett trug, und riefen mit kaum versteckter Neugier aus: „Und Sie müssen Adam sein!“
Evelyn war eine etwa sechzigjährige Frau, die trotz ihres Alters eine Vorliebe für ausgefallene Kleidung und exzentrischen Schmuck hatte. Sie streckte Adam eine Hand hin, und an ihrem Unterarm klimperten unzählige Reifen.
„Lia hat uns in den letzten Jahren immer wieder geschrieben. Sie hat Sie wirklich genau getroffen.“ Ohne Scham musterte sie Adam von Kopf bis Fuß. „Sie sind ja ein toller Kerl. Darf ich Ihnen meine kleine Schwester vorstellen?“ Sie machte eine rasche Handbewegung. „Komm her, Jessie.“
Die kleine Schwester, die auch schon über sechzig Jahre alt war, kam herbeigerauscht. Sie trug weite, etwas unförmige Kleider. So, als würde sie alles per Katalog bestellen und es niemals vorher anprobieren.
„Es freut mich, Sie kennenzulernen“, flötete Jessie.
Evelyn hatte den Blick nicht von Adam abgewandt. Sie hatte strahlend blaue Augen und einen offenen, wenn auch einige Spuren zu neugierigen Blick. Endlich reichte sie Adam die Hand. Er wunderte sich, als sie sich begrüßten, da Evelyn einen Handschlag hatte, der einem jungen Mann alle Ehre gemacht hätte.
„Ich spüre genau, dass Sie unter dem Buchstaben E stehen“, erklärte sie ernsthaft.
Adam runzelte die Stirn und fragte: „Wie bitte?“
„Eeee“, rief Evelyn aus und zog die Augen beschwörend zusammen. „Der Buchstabe E, er ist sehr stark.“
Annabelle hätte das für den reinsten Schwachsinn gehalten, wenn sie nicht schon gewusst hätte, dass solche Art von Begrüßungen für die Cousine ihres Vaters etwas ganz Alltägliches waren.
Ein- oder zweimal waren Evelyn und Jessie zu Besuch gekommen, als Annabelles Eltern noch lebten. Die beiden hatten immer die verrücktesten Geschenke mitgebracht, riesige Fliegenklatschen in Form von Lotusblumen, magische Lampen oder Parfum, das angeblich höchstpersönlich von Hexen aus den Wäldern des hohen Nordens gebraut worden war.
Und ausgerechnet diese beiden Frauen hatte Lia zu Hilfe gerufen!
„Evelyn hat eine große Gabe“, rief Jessie aus, als wollte sie Annabelles schlimmste Befürchtungen bestätigen.
Die junge Frau verzog die Lippen und hoffte, dass es wie ein Lächeln aussehen würde. Sie wollte niemanden verletzen und stieß schnell ein Gebet aus, dass es sich bei dem Mitbringsel nur ja nicht um ein Aquarium mit fleischfressenden Fischen handeln möge. „Das wäre doch nicht nötig gewesen“, murmelte sie.
Jessie blinzelte vor Vergnügen mit den Augen. „Nein, da hast du uns falsch verstanden, meine Liebe“, verkündete sie. „Evelyn hat die Gabe des Sehens!“
„Ach,
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