Bianca Exklusiv Band 87
Everglades zu der Westküste bringen. Linda hatte sich an die Stille zwischen ihnen gewöhnt, es war ihr nicht mehr unangenehm. Trevor schien sich voll auf den Verkehr zu konzentrieren und widmete ihr keine weitere Aufmerksamkeit. Nach den letzten Stunden breitete sich nun ein Gefühl der Entspannung in ihr aus. Sie entschloss sich, die Sorgen um ihren Bruder erst einmal aus ihren Gedanken zu verdrängen, sie konnte sowieso nichts tun, ehe sie nicht in dem Krankenhaus in Palmetto ankam.
Der Motor des alten Lieferwagens schnurrte mit der Zufriedenheit einer Maschine, die an sorgfältige technische Wartung gewohnt war. Messanos breite Schulter berührte sie fast in der engen Kabine. Seine Hände auf dem Steuer gaben Linda ein Gefühl der Sicherheit. Er strahlte das Bewusstsein aus, mit jeder Situation fertig zu werden, die sich auf dieser Fahrt durch die Sumpfwildnis ereignen konnte.
Ab und zu warf Linda einen kurzen Blick auf das raue Profil dieses ungewöhnlichen Mannes. Neugier plagte sie, kein anderer Mann hatte je ein solches Interesse in ihr erweckt.
Seine bewusste Zurückhaltung lud zu Spekulationen ein. Sie ließ ihrer Fantasie freien Lauf und versuchte, ihn sich in verschiedenen Berufen vorzustellen: Kaufmann, Gebrauchtwagenhändler, Apotheker, Lieferant. Nichts von dem passte. Sie versuchte es mit Mechaniker, Feuerwehrmann, Seemann auf einem Fischfänger. Das schien ihr angebrachter - ihn umgab die Aura eines Menschen, der im. Freien, der physisch arbeitet.
Sie ließ ihre Fantasie in eine andere Richtung wandern: Wie sah sein Privatleben aus? Hatte er Frau und Kinder? Eine Frau nahm Gestalt an: lebhaft, attraktiv mit lachenden Augen und aufreizendem Hüftschwung.
Die Vorstellung war ihr unbehaglich. Mit Bestimmtheit wandte sie ihre Aufmerksamkeit von dem geheimnisvollen Trevor Messano auf die geheimnisvolle Wildnis, durch die sie fuhren. Von manchen wurden die Everglades auch „Grasfluss” genannt. Mit einer Breite von fünfzig Meilen zog sich die Sumpflandschaft mehr als hundert Meilen über die untere Halbinsel Floridas vom Okeechobee-See bis an den Golf von Mexiko. Kindheitserinnerungen wurden in ihr wach und ließen Bilder vor ihrem geistigen Auge entstehen: das kräftige, scharfkantige Gras, die riesigen, mehr als sechshundert Jahre alten Zypressenbäume, Alligatoren und kleine, grüne Baumschlangen, und die Löffelreiher, deren rosafarbene Federn zwischen dem Grün der Landschaft wie farbige Tupfer aufblitzten. Sie sah wieder kleine Wasserstraßen vor sich, die sich durch das dichte Gras wanden. Jemand, der sich ohne Erfahrung mit einem Boot in dieses Labyrinth hineintraute, lief Gefahr, sich für immer zwischen den Mangroven und schwimmenden Inseln zu verirren.
Linda schauderte. Sie erinnerte sich an die Albträume ihrer Kindheit, in denen tote, mit Moos bewachsene Äste zu Armen von ertrinkenden Riesen wurden, die sich verzweifelt gen Himmel streckten, wenn sie von dem nebelüberhangenen Sumpf in die Tiefe gezogen wurden, während Geier aus der Unterwelt der Indianer umherflogen.
In den Everglades war die Zeit stehen geblieben, hier war Zivilisation lediglich eine Illusion. Sie konnte sich die frühen Einwohner, die wahren Eigentümer dieses Landes, vorstellen. Hier lebte einst der Stamm der Calusa-Indianer, ihnen folgten die Seminolen. Sie sah diese Menschen mit ihren braunen Körpern, die als Schutz gegen die Schwärme von Moskitos und Sandfliegen mit Fischöl eingerieben waren, sie sah Hütten, in denen sie in Eintracht mit dem Sumpf lebten. Sie stellte sich die Stammesfeiern vor, sie sah, wie sie die Früchte des tropischen Waldes sammelten, sie sah, wie Fische, Austern und Wild für die Mahlzeiten vorbereitet wurden.
In ihrer Vorstellung hörte sie das Brüllen des Panters, das Flügelschlagen der Reiher und Störche, das Geräusch, wenn sich ein Alligator ins Wasser gleiten lässt. Es war eine prähistorische Vision, nur der Säbelzahntiger und das Mammut fehlten …
Linda atmete tief durch und kehrte in die Gegenwart zurück: Die Sonne strahlte und sie fuhren mit einem Lieferwagen auf der Autobahn, dem „Tamiami Trau”. Über ihnen standen einige silberne Wolken am tiefblauen Himmel. Während Touristen mit Wohnwagen die Wildnis bestaunten, die sie umgab, hatten ungeduldige Geschäftsleute keine Augen für die Schönheiten der Landschaft. Die ewige Stille der Everglades breitete sich wie ein Vorhang aus, der die Zivilisation ausschloss.
Linda erinnerte sich an die lebhaften
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