Bibbeleskaes
Verhör. Brandt hörte aufmerksam zu und unterbrach mich nur, wenn er etwas nicht verstand.
»Was Luc Murnier betrifft, haben die Kollegen eine nachvollziehbare Argumentations- und Indizienkette aufgebaut, die Sie nicht entkräften konnten«, fasste er das Verhör zusammen. »Zentral ist natürlich die Zeugenaussage. Jemand hat Luc Murnier am Bach gesehen, wie er sich über den Toten beugte. Das wiegt schwer.«
Brandt blieb sehr sachlich. Ich war froh, dass er sich an dieser Stelle eine weitere Bemerkung über meine unsoliden Männer verkniff. DrauÃen jaulte der BMW noch einmal auf, dann verstummte der Motor, stattdessen klatschten Türen. Ich sah drei junge Männer aussteigen. Wollten sie die Telefonzelle benutzen? Was anderes gab es da nicht.
»Was, wenn der Zeuge lügt?«, fragte ich Brandt.
»Polizisten haben in diesem Bereich viel Erfahrung. Es muss ein sehr glaubwürdiger Zeuge sein, wenn sie seiner Aussage so viel Wert beimessen.«
»Glaubwürdig heiÃt was?«
»Es gibt â im Gegensatz zu Ihnen zum Beispiel â für den Zeugen keinen Grund zu lügen. Er hat keinen Bezug zum Opfer, zu dessen Umfeld und so weiter. â Fällt Ihnen da jemand ein?«
»Ungefähr siebzig. So gut wie alle Fautenbacher, sieht man von Felix ab.« DrauÃen zerrten die Kerle das Metallteil aus dem Kofferraum und schleiften es über den Rathausplatz. Es sah aus wie eine aus dem Boden gehebelte StraÃenschranke. Ein Dummejungenstreich, redete ich mir ein, und doch kam es mir vor, als wollten sie mir vorführen, wie sehr die Welt aus den Fugen geraten war.
»Felix Ketterer ⦠Ich gebe zu, es ist interessant, was Sie über ihn herausgefunden haben. Leider alles recht spekulativ«, seufzte Brandt. »Ein Streichholzbriefchen, die Aussagen von zwei Zeugen, die einem weiteren Verdächtigen eng verbunden sind, eine fünfundvierzig Jahre zurückliegende sexuelle Nötigung als recht wackeliges Motiv. Das ist nichts mit Hand und FuÃ. Da würde Sie jeder Staatsanwalt auslachen, wenn Sie damit ankämen.«
Das hatte ich nun davon, einen Polizisten anzurufen! Brandt pflückte meine Theorie, dass Felix der Mörder von Murnier sein könnte, so lange auseinander, bis nichts mehr davon übrig blieb. All die Gründe â der Tod der Mutter, der Schock darüber, ein Kuckuckskind zu sein, der drohende Verlust der Firma, die Karriere der Frau â, die ich für seinen labilen seelischen Zustand anführte, nickte Brandt brav ab, sagte dann aber, dass eine Depression keinen zum Mörder machte. Und überhaupt: Beweise, Beweise, Beweise.
Aber ich gab nicht auf. »Und wenn Felix sich umgebracht hat?«, fragte ich.
»Selbstmörder, die ins Wasser gehen, beschweren sich die Taschen mit Steinen oder schwimmen so weit hinaus, dass sie keine Kraft zum Zurückschwimmen haben, aber die legen sich niemals in einen zwanzig Zentimeter tiefen Bach«, dozierte er müde. »Aber nun ja, ich habe schon Pferde kotzen sehen. Man muss die Ergebnisse der Obduktion abwarten. Wenn dabei überraschenderweise ein Suizid festgestellt und Luc Murnier weiter leugnen würde, seinen Vater getötet zu haben, dann ⦠Allerdings: Warum das Messer? Und warum kehrte Ketterer nach der Tat in die Festhalle zurück? Doch lassen wir das! Das sind wilde Spekulationen! Vertrauen Sie auf die Kollegen. Die wissen schon, wie sie ihre Arbeit tun müssen. â Was macht denn Ihr Patissier-Kurs?«
DrauÃen heulte wieder der getunte Motor auf. Ich sah, wie sich der letzte der drei Kerle ins Auto schwang, die Tür zuwarf, der Fahrer mit einem gewagten Wendemanöver Kies aufwirbelte und die Telefonzelle mit einem Steinhagel bombardierte.
»Was ist das für ein Krach bei Ihnen?«, wunderte sich Brandt. »Sagen sich in Ihrem Dorf Hase und Igel nicht schon am frühen Abend Gute Nacht?«
»Die Zeiten, als das Landleben friedlich war, sind lange vorbei«, schrie ich gegen den Autolärm an.
Zum Glück bretterte der BMW endlich in Richtung Achern davon, und es kehrte Ruhe ein. Die StraÃenschranke hatten die drei zurückgelassen. Sie steckte als hässlicher Fremdkörper im Brunnentrog direkt vor dem Eingang zum Rathaus.
»Wohl wahr, bei zwei Leichen innerhalb einer Woche«, hörte ich Brandt sagen.
»Der Patissier-Kurs«, kam ich auf seine Frage zurück. »Da brauche ich gar nicht
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