Bibbeleskaes
mehr hin, weil ich so viel gefehlt habe.«
»Sie sollten sowieso endlich nach Köln zurückkommen. Habe ich Ihnen schon erzählt, was für wunderbare grüne Böhnchen in meinem Schrebergarten wachsen? Ein paar Kilo davon würde ich gerne der WeiÃen Lilie spendieren. Es wird Zeit, dass Sie wieder am Herd stehen und die Arbeit tun, die Sie können.«
Die WeiÃe Lilie! Meine schöne Küche! Arîn und ich am Herd. Friedlicher Alltag. »Glauben Sie mir, Herr Brandt, im Moment würde ich nichts lieber tun«, seufzte ich, und das war die reine Wahrheit.
»Erinnern Sie sich an die Rosenhecke neben dem Wasserbehälter, die bei Ihrem letzten Besuch die ersten Knospen zeigte? Sie blüht prächtig in einem leuchtenden Burgunderrot. Ich schneide Ihnen einen Strauà davon als WillkommensgruÃ. Kommen Sie zurück! Hören Sie endlich auf, Detektivin zu spielen und einem Mann hinterherzurennen, der nichts Gutes verheiÃt!«
»Sie sind so fürsorglich, Herr Brandt. Schlafen Sie gut!«, antwortete ich und drückte schnell die Off-Taste.
Von wegen, Luc verhieà nichts Gutes! Er lockte mit der groÃen weiten Welt und ein paar Geheimnissen. Brandt dagegen mit einem Schrebergarten, einem offenen Ohr und einer grundsoliden Ehrlichkeit. So schnell, merkte ich, würde ich doch noch nicht nach Köln zurückkehren.
Ich träumte nicht von Luc und der groÃen weiten Welt, auch nicht von Brandts burgunderroten Rosen, ich träumte von Störchen. Störche, die den Rhein nach Lust und Laune überquerten, Störche, die sich mal auf einem badischen, mal auf einem elsässischen Dach niederlieÃen, Störche, die nicht einzeln oder in kleinen Familien, sondern in Scharen kamen. Aber es waren nicht die scheuen heil- und glückbringenden Tiere, als die wir sie kannten, die Traumstörche waren kein bisschen freundlich. Diebischer als Elstern schnappten sie mit ihren spitzen Schnäbeln nach allem, was nicht niet- und nagelfest war. Wäschestücke oder verschreckte Hühner, Obstkörbe oder lahme Ratten. Alles Lebendige liebten sie besonders: Sie hackten Augen aus und rissen Schwänze ab. Sie waren bei ihrer Beute nicht wählerisch, aber man fürchtete sie am meisten, weil sie auch Babys klauten. Die packten sie, wie in diesen kitschigen Glückwunschkarten zur Geburt, am Bauch bei den Windeln und flogen mit ihnen auf und davon, scherten sich nicht um verzweifelte Mütter, hilflose Väter und greinende Kinder. Als in meinem Traum Martha laut schrie, dass der Storch ihrer Kleinen nicht die Augen aushacken sollte, schreckte ich hoch.
Die Leuchtziffern meines alten Digitalweckers zeigten vier Uhr fünf an. Störche! Keine Ahnung, warum mir ausgerechnet um diese Uhrzeit einfiel, dass Himmler sie im Zweiten Weltkrieg zu Propagandazwecken einsetzen wollte. Sie sollten auf ihrer Reise nach Afrika Flugblätter an den langen Beinen tragen, diese abwerfen und so für GroÃdeutschland werben. Das Gutachten eines Vogelexperten verhinderte, dass diese irrwitzige Idee umgesetzt wurde. Warum hatte ich von Störchen geträumt? In diesem Zwischenreich von Tag und Nacht, von Traum und Wirklichkeit schien mir das völlig klar. Ich war genau wie Felix ein Kuckuckskind, auch ich hatte einen Elsässer zum Vater. Diesen Pierre Mueller, diese Camembert-Reklame, diesen Béret -Träger, diesen welschen Charmebolzen. Martha hätte mir das nie gestanden, dieses Geheimnis wollte sie für sich behalten, es im Gegensatz zu Gerti mit ins Grab nehmen. Aber mein Traum hatte es ans Licht gebracht. Ich fühlte mich betrogen und auf eine Art und Weise so kolossal entwurzelt, dagegen nahm sich die StraÃensperre auf dem Rathausplatz wie ein Fliegenschiss aus. Was für ein Elend! Tränen stiegen in mir auf, sturzbachartig flossen sie heraus, ich weinte mir die Augen wund, bis sie von meiner Heulerei genug hatten und einfach zufielen. Völlig erschöpft entlieà mich das Hirn zu früher Stunde in einen gnädigen traumlosen Schlaf.
Als ich am nächsten Morgen nach unten kam, saÃen Martha und Edgar in alter Eintracht beim Frühstück. Die Zeitung lag neben Edgar auf dem Tisch, das Radio dudelte im Hintergrund, und die beiden redeten über die StraÃenschranke im Brunnentrog vor dem Rathausplatz.
»Ich habe immer gâsagt, dass es Blödsinn ist, wegen der neuen Diskothek eine Sperre zu bauen«, behauptete
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