Bibbeleskaes
Kopfweh heimgegangen. Und ich habe nichts mitgekriegt, weil ich nur Augen für Edgar hatte! Auf alle Fälle, am Bach ist der Emile zudringlich geworden. Und Gerti, wie soll ich sagen? Halb zog er sie, halb sank sie hin. Aber dann! Dâr Emile wollte alles, die Gerti aber nicht â¦Â«
»Wieso hat sie nicht um Hilfe geschrien?«
»Weil damals andere Zeiten waren. Die Gerti hätte nicht wie du eine Szene machen können. Einen Mann wegen so was zu ohrfeigen? Wegen so was laut schreien? Sie ist doch mit ihm gegangen! Mitgefangen, mitgehangen, hat Gerti gedacht und sich gefügt. So wie sich ihre Mutter gefügt hat, als nach dem Krieg die Franzosen durchs Dorf sind. Drei Marokkaner haben sie ⦠Die Gerti hat es aus einem Spalt im Schrank gesehen. Und sie musste still sein, so hat es ihr die Mutter eingebläut, so still wie die Mutter, damit nicht alles noch schlimmer wird.«
Die marodierenden Franzosen im April 1945: Geplündert hatten sie, was Küche und Schränke hergaben, die Tabakernte in den Scheunen beschlagnahmt, Vieh gestohlen und geschlachtet, darüber hatten die GroÃeltern geredet, wenn sie vom Krieg sprachen. Nie aber über die Vergewaltigungen. Darüber nur ein Raunen, Gespräche, die plötzlich verstummten, vielsagende Blicke unter den alten Frauen. Für mich als Kind Signal für etwas Schreckliches, Furchtbares, Unaussprechliches. â Schon wieder der Krieg! Emile und Gerti, zwei Kriegskinder, ein rechts- und ein linksrheinisches, sie hatten den Krieg noch im Gepäck, als sie 1967 aufeinandertrafen.
»Das erklärt, warum Gertie nie mehr nach Scherwiller gereist ist. Angezeigt hat sie Murnier auch nicht«, folgerte ich.
»Auf so eine Idee wäre damals keine gekommen! Sexuelle Gewalt, sexuelle Belästigung waren groÃe Tabuthemen. Schande! So ein Wort nimmt heute keiner mehr in den Mund. Wenn man damals schon so offen damit umgegangen wäre, dann wäre vielleicht der Mord â¦Â«
Endlich verstand ich Marthas Gedankengang! Sie nahm an, dass Gerti Felix alles erzählt und dieser seine Mutter gerächt hatte.
»Immer wieder hat sie auf dem Krankenbett davon gesprochen, dass der Bub doch die Wahrheit wissen muss. Und Sorgen hat sie sich gemacht um den Felix, weil die Spedition so schlecht lief. Und von mir hat sie gewusst, wie wohlhabend Emile war. âºTuâs nicht, Gertiâ¹, hab ich sie beschworen, âºdu machst den Jungen unglücklich damit.â¹ â âºAber Emile hätte für den Jungen Alimente zahlen müssen, und weil er das nicht getan hat, muss er den Felix beim Erbe berücksichtigen. Er könnte ihm Geld für die Firma vorstrecken, als Wiedergutmachung sozusagen.â¹ Ich habe gebettelt, dass sie Felix aus der Sache raushält. Ich habe sie sogar überredet, selbst bei Murnier anzurufen, damit sie ihren Frieden mit der Sache findet.«
Durch meinen Kopf ratterten plötzlich Zahlen. Das erste Treffen im Juli 1967, Felix exakt zwei Wochen jünger als ich, geboren am 30.  April 1968, also genau neun Monate nach dem Besuch in Scherwiller.
»Felix ist der Sohn von Murnier?«
»Gerti hat es schnell gewusst. Zwei Jahre hat sie es davor schon mit dem Hubert probiert, und direkt nach dem Scherwiller-Besuch wird sie schwanger. Wegmachen lassen wollt sie es auf keinen Fall. Sie hat sich doch so sehr Kinder gewünscht. Nur Angst hat sie gâhabt, dass es aussieht wie Emile. Aber es ist nie jemandem aufgefallen. Und der Hubert hat immer geglaubt, dass der Felix sein Kind ist. Und ausgesehen hat er wirklich nicht wie Emile. Aber als du in der Grundschulzeit heimgekommen bist und von Felix geschwärmt hast, da habe ich gewusst, dass er das Mädleschmeckerische von Emile geerbt hat.«
»Murnier wusste die ganze Zeit nicht, dass Felix sein Sohn ist?«
»Wo denkst du hin? Zwei Tage vor ihrem Tod hat Gerti es ihm gesagt. Ich war dabei. Gerti hatte das Telefon auf laut gestellt. WeiÃt du, was der Drecksack geantwortet hat? Gerti wer? Ach ja, das FuÃballspiel. UnverdientermaÃen haben die Deutschen gesiegt, als Revanche dafür musste er sich die Frau des Kapitäns nehmen. Und überhaupt! Er war in seinem Leben mit vielen Frauen im Bett, Felix bestimmt nicht sein einziger Bastard. â Ich habe Gerti den Hörer aus der Hand gerissen und Murnier gesagt, dass er an seiner Bosheit verrecken soll.«
»Und das ist er dann ja auch irgendwie«,
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