Bibbeleskaes
dicken. Und die grünen Böhnchen sowieso.«
»Mal schauen, was dann davon noch übrig ist«, seufzte Brandt. »Bald ist eine sehr dehnbare Zeiteinheit.«
»Ach, Herr Brandt!«
Ich war zu müde, um weiter über bald und Brandt und komplizierte Gefühle nachzudenken. Das musste warten. Alles musste warten.
FÃNFUNDZWANZIG
Luc weckte mich am nächsten Morgen. Es war merkwürdig, seine Stimme zu hören, merkwürdig, in meinem Bett zu liegen, merkwürdig, dass jetzt neue Zeiten anbrachen. Wir stammelten halbe Sätze, wussten mit den Pausen dazwischen nichts anzufangen. Natürlich wollte ich ihn sehen. Schnell, so schnell wie möglich. Heute Abend? Aber ja. Sessenheim, Auberge au Boeuf.
Sessenheim, ein symbolträchtiger Ort. Ort einer berühmten deutsch-französischen Liebesgeschichte. Johann Wolfgang und Friederike. Die Sessenheimer Lieder: »Und doch, welch Glück geliebt zu werden / Und lieben, Götter, welch ein Glück!« Goethe hatte die Pfarrerstochter sitzen lassen.
Ich machte mich schön: der grüne Kaftan, die Kette aus Casablanca, luftgetrocknete Locken, ein Hauch Parfüm. Die Fahrt nach Westen, bei offenen Fenstern der untergehenden Sonne entgegen, Mais und Sonnenblumen standen Spalier. Bilder wie für ein Film-Happyend.
Luc wartete in Jeans und weiÃem Hemd. Das Gesicht blass, in den Wangen ein paar Falten tiefer eingekerbt, die garde à vu hatte Spuren hinterlassen, aber die Herbstaugen leuchteten, als sie mich sahen. Der Kuss auf dem Parkplatz noch fremd, der Arm um meine Schulter schon vertraut, als wir wenig später ins Restaurant traten.
Im Foyer Goethe in Hülle und Fülle: Briefe, Skizzen, Porträts, Devotionalien, die Sessenheimer Lieder hinter Glas. Auf der Terrasse ein Tisch für uns reserviert, gestärktes Leinen, Sonnenblumen in Glasschalen, die unvermeidlichen Deko-Olivenbäumchen. Die Speisekarte bot Elsass vom Feinsten: Foie gras, Froschschenkel und Schnecken, Saibling und Hecht, Ente und Milchkalb. Als Amuse-Bouche servierte man Variationen vom Bibbeleskäs. Luc suchte mit kundigem Blick die Weine aus, als Aperitif natürlich einen Cremant dâAlsace.
»Bibbeleskäs. Erinnerst du dich, dass der auch im Ulmer Braustübl auf der Karte stand?«, fragte Luc und probierte die Variante mit Wachteleiern.
Natürlich erinnerte ich mich. Auch daran, dass in dieser Geschichte vieles als Bibbeleskäs, als Unsinn, als nicht so wichtig abgetan wurde, was sich als etwas ganz anderes herausstellte.
»Auf den Bibbeleskäs!«, Luc prostete mir zu.
Das Essen, der Sekt und die Nähe lösten langsam unsere Zungen. Gott, was hatten wir uns alles zu erzählen! Luc sprach von den endlosen Verhören und den schlaflosen Nächten in der kleinen Zelle, darüber, wie er sich den Kopf zerbrochen hatte, wer ihn denunziert haben könnte. Das halbe Dorf hatte er unter die Lupe genommen, jeden, mit dem er je ein Geschäft gemacht hatte, jeden, mit dem er je aneinandergeraten war, jeden, der ihn misstrauisch beäugt hatte, als er mit groÃen Plänen aus Australien zurückgekommen war. Aber Sophie? Niemals.
Auch über seinen Vater hatte er nachgedacht. Die Liste derer, von denen Luc wusste, dass sie mit Emile über Kreuz lagen, war lang. Aber wie er es drehte und wendete, er hatte sich nie auf einen Hauptverdächtigen einschieÃen können. Für ihn blieb Emile auch nach seinem Tod ein halsstarriger, hasserfüllter Mann. Einer, der andere bis aufs Blut reizen konnte, einer, bei dem man schnell die Kontrolle verlor. Wenn einer wusste, zu welchen Bösartigkeiten Emile fähig war, dann er.
Felix als Täter überraschte ihn, dass er sein Halbbruder gewesen war, wiederum nicht. Er wusste aus schmerzhafter Erfahrung, dass sein Vater jede Frau nahm, die ihm gefiel, ob diese wollte oder nicht, dabei nicht mal vor Roswitha, seiner ersten Freundin, haltgemacht hatte.
»Ich habe die zwei erwischt, in meinem Zimmer. Roswitha ist sofort verschwunden, ich habe nie mehr etwas von ihr gehört. Konnte sie nie mehr fragen, ob er sie gezwungen hat oder ⦠Es war eine ungeheure Demütigung!«
Danach hatte er in rasender Wut auf Emile eingeschlagen, nur seine Mutter hatte verhindert, dass er den schon wehrlos am Boden Liegenden totgeprügelt hatte.
Ich wiederum erzählte von meinen Gesprächen mit Antoinette und Sandrine. Luc fiel aus allen Wolken, als er von
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