Bibbeleskaes
wahrscheinlich meilenweit nach Schnaps.
Felix war tot, und er blieb es, ob ich jetzt sofort oder später die Polizei rufen würde. Ich musste zuerst mit Martha reden, wissen, was sie hier gewollt hatte. Das schien mir eine sehr kluge Entscheidung.
Ich startete den Wagen und schlich mit höchstens zwanzig Stundenkilometern am Bach entlang durchs Oberdorf, wo alle Häuser im Dunkeln lagen, wo alles schlief, wo nicht mal der Hund vom Schindler Sepp anschlug. Einzige Leuchtquellen waren die weiÃen Nebelschleier, in die der Regen das Licht der StraÃenlaternen verwandelte. Da schon der FuÃweg zur neuen Kirche, da der Kindergarten, und schon stand ich an der B 3.
Joe hatte den Queenâs Pub längst dichtgemacht, auch in der Linde auf der anderen StraÃenseite brannte nirgendwo mehr Licht. Ich parkte den Wagen, zog schon im Laufen meine Drecksschuhe aus, warf sie in den Müll, die Socken hinterher, und lief barfuà die paar Meter bis zum Hintereingang.
In der Küche machte ich kein Licht an, der Schein der StraÃenlaterne reichte aus, um zu sehen, dass sie aufgeräumt und blitzsauber war und die drei Geschirrtücher zum Trocknen ordentlich nebeneinander auf der Arbeitsfläche lagen, so wie Martha es immer tat, bevor sie abends die Küche verlieÃ.
Ich machte auch kein Licht, als ich nach oben stieg. Ich öffnete die Tür des Elternschlafzimmers, fand Edgar allein im Doppelbett schlafend, ging weiter zum Wohnzimmer, wo Martha unter einer Wolldecke auf dem Sofa lag. Ich rüttelte an ihrer Schulter, zog ihr, als sie sich nicht rührte, die Bettdecke weg, sah, dass sie das Nachthemd mit den rosa Schmetterlingen trug, das sie in der Nacht von Murniers Tod getragen hatte. Sie drehte sich, ohne wach zu werden, zur Seite. Der Verlust der Decke störte sie nicht. Ich rüttelte sie heftiger, rief laut nach ihr, klatschte ihr rechts und links auf die Wangen. Sie schreckte kurz auf, öffnete die Augen, sah mich an, ohne mich zu erkennen, schloss die Augen wieder und schlief weiter. Ich war bereits auf dem Weg ins Badezimmer, um einen nassen Waschlappen zu holen, als ich die Pillenpackung auf dem Couchtisch entdeckte. Donormyl. Davon hatte Adela mir welche verabreicht, als mein Ecki-Kummer am schlimmsten war. Die knockten einen wirklich aus. Selbst wenn Martha nur eine davon genommen hatte, würde ich sie nicht wach kriegen, auch wenn ich sie unter die kalte Dusche stellte.
Ich lieà mich auf den Sessel gegenüber dem Sofa fallen, lauschte Marthas schweren, gleichmäÃigen Atemzügen, sah im schwachen StraÃenlicht, wie tief sich die Falten in ihr Gesicht gebohrt hatten. Die ledrige Haut bildete eine undurchdringliche Mauer, durch die sie mich nicht hindurchsehen lieÃ. Meine Mutter war zum Greifen nah und gleichzeitig unendlich fern. Ich heulte eine Weile still vor mich hin, dachte an nichts, fühlte mich nur ganz schrecklich einsam, viel einsamer als Han Solos Rasender Falke in den unendlichen Weiten des Weltalls.
Die Nässe, die Kälte, der Drang zu pinkeln, irgendwas davon lieà mich aufstehen und ins Badezimmer gehen. Ich stellte mich unter die Dusche, merkte erst da, dass ich vergessen hatte, mir BH und Slip auszuziehen, holte das nach, seifte mich ein, blieb unter dem heiÃen Strahl stehen, bis das Wasser kalt wurde, trocknete mich ab, schlüpfte in Marthas Morgenmantel, Frottee, blaurote Streifen, schleppte mich in mein Zimmer, lieà den Bademantel zu Boden gleiten, legte mich ins Bett und zog das Plumeau über den Kopf.
Felix, der Glückliche, winkte mir von der anderen Seite des Mummelsees fröhlich zu, er hatte kleine Bubenärmchen und hielt in der Hand den Glassplitter mit dem Auge der heiligen Katharina, in dem sich die Sonne spiegelte. Noch als ich mich wunderte, warum auf diesem Knabenkörper so ein alter Kopf saÃ, verschluckte ihn der kalte See wie ein gefräÃiges Ungeheuer. Eine unsichtbare Kamera zoomte ihn unter Wasser an mich heran. Die Mümmelchen hatten sich ihn gepackt, sie gewährten mir einen letzten Blick auf sein grünlich weià schimmerndes, mit Haarsträhnen und Gras beschmiertes totes Gesicht, bevor sie ihn weiter in die Tiefe zogen.
Zwei Uhr morgens zeigte mein alter Wecker an, der Schlaf hatte mich nur kurz von allem erlöst, dann hatte mein Unbewusstes den toten Felix in die Traumbilder gespült. Mein Herz klopfte laut und schmerzhaft wie immer, wenn ich aus einem Alptraum
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