Bibbeleskaes
das, ihr stellt euch als listige kleine Elsässer und weniger als stolze Franzosen der Grande Nation dar, damit die Deutschen nie mehr auf die Idee kommen, Herrschaftsansprüche auf die andere Rheinseite zu stellen?«, versuchte ich weiter, die Sätze von Weckmann zu verstehen.
Antoinette hörte mir nicht mehr zu. Ihre Aufmerksamkeit gehörte dem Keramiktopf, den Pierre Mueller eilig zu unserem Tisch trug und der sie begeistert ausrufen lieÃ: »Da isch jo dâr Baekeoffe!«
Der Baekeoffe dampfte noch, als er auf den Tisch gestellt wurde, aber Antoinette schnitt beherzt die heiÃe Brotkruste ab, die den Deckel mit dem Topf verklebte, legte jeder von uns die Hälfte des Brotes auf den Teller und öffnete dann den Deckel. Allein wegen dieses Duftes musste man Baekeoffe mögen! Deftig, erdig und von einer leichten Säure durchzogen, so roch ein guter Baekeoffe!
Und wie Antoinette prophezeit hatte, schmeckte er exzellent. Die Kartoffeln noch leicht knackig, die Zwiebeln noch nicht zerfallen, das Fleisch aber so zart, dass es auf der Zunge zerging. Ich langte herzhaft zu. Es war ewig her, seit ich die letzte Mahlzeit verzehrt hatte.
Nach der schweren Geschichtsstunde tat es gut, zu essen und über Banales zu reden. Ich fragte nach, ob es unbedingt drei Sorten Fleisch sein müssen, ob das Lamm im Vergleich zu Schwein und Rind nicht zu dominant sei. Antoinette antwortete, dass dies nicht entscheidend war, sie in den schlechten Jahren durchaus auch Karnickel dafür verwendeten, der Wein auch dieses irgendwie zart gemacht hatte.
Wir orderten Kaffee, und ich kam auf Emile zurück, genauer gesagt auf den Streit, der Luc hatte nach Australien verschwinden lassen.
So intensiv ihre Erinnerungen an die deutsche Besatzung und den Krieg waren, so nebulös waren die aus den neunziger Jahren. Gerüchte und Dorftratsch, so sagte sie, nichts Genaues also. Ja, die deutsche Freundin von Luc, eine hübsche Kleine mit hellen Locken, sei sehr wohl Thema gewesen. Zusammen mit dem ebenfalls blonden Luc hätten die beiden ein teutonisches Paar abgegeben. Die Wahl des Mädchens ein Affront gegen Emile, dem immer noch alles Deutsche verhasst war.
Emile war aber nicht nur ein Deutschenhasser, sondern auch ein »Maidleschmecker«, immer auf Eroberungen aus. Ernestine, seine Frau, eine Stille, eine Leidende, eine Langweilige, keine, die ihm Paroli bot, ganz anders als Germaine Joseph nach dessen Rückkehr aus der Gefangenschaft. Ob nun die kleine Deutsche Emiles Verführungen erlegen sei oder ob er mit Gewalt nachgeholfen habe, wusste keiner so genau. Ãber so was habe man damals genauso wenig gesprochen wie in der Kriegszeit.
Auf alle Fälle sei die Kleine von einem auf den anderen Tag weg gewesen, und den Streit zwischen Vater und Sohn habe man bis zur Place de la Libération hören können. Danach sei Luc verschwunden, und lange Zeit wusste niemand, wohin er gegangen war. Zuerst habe man gedacht, er sei nach Deutschland zu dem Mädchen, erst später habe man gehört, dass er nach Australien ausgewandert sei.
»Wie lang isch er jetzt zâruck? Fünf Johr?«
»Du weiÃt, dass man Luc verhaftet hat?«
»Ich weià au, dass er dir gâfallt.« Ihre rot gemalten Lippen lächelten wissend. »âs kommt, wie âs kommt. Moch dâr kei Sorge, Maidela.«
Dass sie mich »Mädchen« nannte und mir danach ein Bett für die Nacht anbot, rührte mich an diesem Abend fast zu Tränen.
Und so legte ich mich wenig später in Antoinettes kleinem Gästezimmer, das immer noch nach Lavendelsäckchen und Mottenkugeln roch, ins Bett mit der weichen Matratze und dem unförmigen, ins Leintuch eingerollten Kissen. Polochon hieà es, das hatte mir Antoinette vor Jahren erklärt. An den schrägen Wänden des Dachzimmers klebte noch die Rosentapete. Ich entdeckte die Stelle wieder, an der ich vor sehr langer Zeit krank vor Liebeskummer in winziger Schrift »Hansi« zwischen zwei Dornenranken gekritzelt hatte. Für einen Augenblick war ich wieder fünfzehn Jahre alt und genoss es, Antoinette und Rosa unten im Salon reden zu hören, nachdem sie mich ins Bett geschickt hatten. Ich spürte die Geborgenheit von damals wieder, weil diese zwei Frauen mich in einem Alter, als die Welt für mich weit und wild und ich selbst unausstehlich war, unter ihre Fittiche genommen hatten.
Das Gefühl der Geborgenheit lieà mich
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