Bibbeleskaes
und brachte den Topf zum Bäcker, der ihn in den groÃen Backofen stellte. Nach dem Wäschewaschen waren alle Zutaten gar, und die Frauen konnten ein fertiges Mittagessen mit nach Hause nehmen.
»Du wotscht übâr dâr Emile schwätza«, sagte sie dann mit einem schweren Seufzen und holte weit in die Geschichte aus.
Im Juni 1940 besetzten die Deutschen Schwerwiller. »DâSchwowa komma! DâSchwowa komma!«, hatte jemand gerufen. Mit Velos waren die Soldaten aus zwei Richtungen, vom Bahnhof und von Schlettstatt her, ins Dorf geradelt. Am Anfang hatten die Ãlteren, die noch die Kaiserzeit erlebt hatten, alle beruhigt. Sie glaubten, die Deutschen würden sich so verhalten wie damals, sprich, alles würde nicht so schlimm werden. Aber dem war nicht so. Das Elsass sollte deutscher sein als deutsch. Gauleiter Wagner wollte aus dem Elsass ein nationalsozialistisches Musterland machen.
Von einem auf den anderen Tag war alles Französische verboten. Ãberall hingen Plakate, auf denen stand: »Hinaus mit dem welschen Plunder!«. Die Nachnamen, die StraÃen, die Plätze, die Ãmter, alles musste eingedeutscht werden. Nirgendwo mehr durfte man Französisch sprechen. Nicht mal mehr »Trottoir«, ein Wort, das schon lange eingedeutscht war, hatte man sagen dürfen. Französische Lehrer wurden entlassen und durch deutsche ersetzt. Eheringe, die man in Frankreich links trug, mussten an die rechte Hand gesteckt werden, das Tragen von le béret , der Baskenmütze, war verboten. Die deutsche Polizei machte Jagd auf alle, die sich nicht dran hielten. Dennoch hatte man immer noch versucht, sich zu arrangieren. Die Elsässer mussten nicht zum ersten Mal die Nationalität wechseln.
All das müsse ich mir vorstellen, beschwor mich Antoinette, als ich vorsichtig anmerkte, dass das doch nichts mit Emile Murnier zu tun haben könnte. Das sei der Boden für Emiles späteren Deutschenhass gewesen. Aber bevor sie auf Joseph Murnier, den Vater von Emile, zu sprechen komme, müsse sie mir noch die Geschichte des verschwundenen Hitler-Bildes erzählen. Ende 1941 sei das gewesen, und danach sei die allgemeine Stimmung im Dorf den Deutschen gegenüber endgültig ins Feindselige gekippt.
Das Hitler-Bild hing im Rathaussaal, wo auch der Kirchenchor Sainte-Cécile probte, und nach einer Chorprobe war das Bild nicht mehr da. Der Ortsgruppenleiter bemerkte es zunächst nicht, erst als er nach einer Rede davor salutieren wollte und sein HitlergruÃ-Arm auf eine leere Wand traf, schäumte er vor Wut. Die Deutschen drohten damit, alle Chormitglieder ins Lager Schirmeck zu bringen, wenn sie nicht sagten, wer das Bild entwendet hatte. Aber keiner wusste es. Daraufhin wurden die Häuser von allen durchsucht, die Fahne des Chors beschlagnahmt, der Schatzmeister des Chores für zwei Tage ins Gefängnis gesteckt. Wegen eines verschwundenen Bildes! Erst nach dem Krieg sickerte durch, wer das Bild entwendet hatte.
Drei junge Männer.
» à Bueba-Schtreich, Catherine«, betonte Antoinette. »Dadran kannsch schtudiere, was Barbarei und Tyrannei isch!«
»War Joseph Murnier einer der drei jungen Männer?«, wollte ich wissen.
Antoinette schüttelte den Kopf. Der habe wie ihr Vater zu den Unglücklichen der Jahrgänge 1908 bis 1926 gehört, die man im August 1942 zwangsrekrutiert hatte. ZweihundertdreiÃig junge Männer aus Scherwiller haben Dienst in der Wehrmacht leisten müssen. Antoinette seufzte wieder, bevor sie erneut weit ausholte.
Aus Rücksicht auf das Vichy-Régime von Marschall Pétain annektierten die Nazis das Elsass nie offiziell, de facto hatte man es aber ins Deutsche Reich eingliedert. Die Elsässer wurden also gegen ihren Willen Reichsdeutsche und damit wehrpflichtig. Aber es blieb eine völkerrechtswidrige Rekrutierung, und das wussten im Elsass auch alle. Viele der Männer desertierten und versuchten nach Frankreich oder in die Schweiz zu flüchten. Sie hatten aber mit harten StrafmaÃnahmen für ihre zurückgebliebenen Familien zu rechnen. Ganze Sippschaften wurden deswegen ins Lager Schirmeck gesteckt, und so waren viele aus Rücksicht auf ihre Familien nicht geflüchtet.
Insgesamt hunderttausend Elsässer mussten für die Deutschen in den Krieg ziehen, viele wurden in die Waffen- SS gezwungen, über neunzig Prozent an die Ostfront geschickt. Fast die Hälfte davon kam nicht
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