Bibbeleskaes
aus dem Krieg zurück. Für die, die zurückkamen, war das Elend aber nicht zu Ende.
»Waren das die Malgré-nous -Soldaten?«, fragte ich. Sandrine hatte bereits von ihnen gesprochen.
Antoinette nickte und betonte, dass sie jetzt auf ein besonders schmerzliches Kapitel der elsässischen Geschichte zu sprechen komme.
Die Franzosen hielten die zwangsrekrutierten Soldaten für Kollaborateure, sie wurden als Verräter beschimpft. Die Elsässer, die in diesem Krieg einen siebenmal höheren Blutzoll bezahlt hatten als das restliche Frankreich, waren auÃer sich vor Wut darüber und wehrten sich. So war die Malgré-nous -Bewegung entstanden. Durch das Malgré-nous â gegen unseren Willen â machten die Elsässer nicht nur ihre erzwungene und tragische Rolle in diesem Krieg deutlich, sondern drückten auch ihre französische Gesinnung aus.
Und so, fuhr sie fort, haben die Nazis durch ihr Schreckensregime etwas geschafft, was den Franzosen in der Zeit von 1918 bis 1940 nicht gelungen war: Die Nazis haben den Elsässern das Deutsche ausgetrieben, sie haben die Elsässer zu Franzosen gemacht.
»So, und jetzerla komme mâr zum Joseph«, schloss Antoinette ihre Geschichtsstunde ab.
Joseph Murnier sei erst 1950 aus der Gefangenschaft zurückgekommen. Er habe im berüchtigten Lager Tambow eingesessen, wo achtzehntausend Elsässer gefangen waren. Ihr Vater sei darin umgekommen, genau wie sechstausend andere Elsässer. Auch nach Kriegsende habe man die Elsässer als deutsche Gefangene behandelt. Erst 1953 seien die letzten zurückgekehrt.
Als Joseph Murnier heimkam, waren seine beiden ältesten Söhne schon aus dem Haus, und Emile, den jüngsten, hatte er noch nie gesehen. Germaine, seiner Frau, die die Kinder allein groÃgezogen, sich um die Reben und den Wein gekümmert, die Familie durch schwierige Zeiten gelotst hatte, war der Mann fremd, der da aus Russland zurückkam. Der, den sie vor acht Jahren verabschiedet hatte, war ein anderer gewesen. Und Joseph brachte die Schrecken der Schlacht von Stalingrad mit ins Elsass und kam nicht mit einer Frau klar, die sich die Zügel nicht mehr aus der Hand nehmen lieÃ. Kein Einzelfall in der Nachkriegszeit, nichts Besonderes. Nur für Emile. Der Nachzügler, noch allein daheim, war dem täglichen Streit zwischen seinen Eltern ausgesetzt. Einig waren die sich nur darin, dass die Deutschen an allem schuld waren. Und Joseph, wenn er mal wieder eine Schlacht gegen Germaine verloren hatte, lieà seine Niederlagen an Emile aus.
»Was hot dâr Joseph den Bueb verdrescht!«
Der Junge war also als ewiger Verlierer im Kampfgetümmel seiner Eltern und infiziert von deren Deutschenhass groà geworden. Besser wurde es erst, als Emile mit dem FuÃballspielen anfing. Er war ein guter Spieler, blühte auf. Sein Vater war plötzlich stolz auf ihn. Und ein paar Jahre später war er ein noch besserer Spieler und richtig gut aussehend. Der konnte sich aussuchen, mit wem er samstags zum Tanzen ging. So viele Mädchen als Zuschauer bei einem FuÃballspiel wie in den Hoch-Zeiten von Emile Murnier hatte die Union sportive nie mehr gesehen.
»Erinnerst du dich an das erste FuÃballspiel gegen die Fautenbacher?«, wollte ich wissen.
»Mais oui!«, rief Antoinette. Wochenlang habe man trainiert, an der Mannschaftsaufstellung gefeilt, Wetten auf die Höhe des Sieges abgeschlossen. Für Emile sei es das Spiel seines Lebens gewesen. Endlich die Deutschen im Felde schlagen, das habe er dem Vater versprochen. Und für viele andere aus Scherwiller sei dies auch wichtig gewesen. Wie gesagt, in dieser Zeit sei man den Deutschen noch nicht sehr wohlgesonnen gewesen. Aber nun ja, manchmal komme eben alles anders, als man denkt. Und die Freundschaft zwischen den beiden Dörfern habe ja trotzdem gehalten.
»Fünfundvierzig Johr! Da muesse mâr a Schluckela trinke.« Antoinette duldete keine Widerrede, als sie mein Glas füllte. »Santé!« Und dann zitierte sie André Weckmann, ihren elsässischen Lieblingsdichter:
»Was seid ihr nun?, het de Schwob gfroit: Franzosen oder Elsasser?
Elsasser, het de Elsasser xait,
also seid ihr keine Franzosen, het de Schwob xait, und esch d deer nüsgflöjje.«
»Ihr seid also doch keine echten Franzosen?«
» Mais bien sûr! Mâr sin Elsasser«, war Antoinettes überzeugte Antwort.
»HeiÃt
Weitere Kostenlose Bücher