Bibbeleskaes
andere hielt die Tür auf. Bevor sie nach drinnen traten, drehte sich Sandrine kurz um und winkte mir zum Abschied.
Beim Wenden fiel mir ein, dass ich sie gar nicht gefragt hatte, woher sie meine Telefonnummer hatte und was der eigentliche Grund ihres Anrufes gewesen war.
SECHZEHN
Langsam fuhr ich durch die Weinberge nach Scherwiller hinein. Ich überholte zwei Winzer auf ihren kleinen Traktoren, die von der Arbeit in den Weinbergen zurück ins Dorf tuckerten. Vielleicht hatten sie das Gras zwischen den Rebzeilen noch einmal gemäht oder den letzten Laubschnitt vor der Lese erledigt, die spätestens in drei Wochen beginnen würde, wie ich von Luc wusste.
Auch er würde jetzt von der Arbeit zurückkehren, säÃe er nicht in einer Zelle fest. Oder ich, entschlösse ich mich, hier mit Luc zu leben. Wäre das was für mich? Wollte ich die Restaurantküche gegen das Winzerhandwerk tauschen? Würde ich aus Liebe die WeiÃe Lilie aufgeben? Und wenn nicht ins Winzerhandwerk, dann in ein Restaurant im Elsass wechseln?
»Gehtâs noch?«, schimpfte ich mich selbst, und Marthas Sprichwörter-Litanei ratterte durch meinen Kopf: Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben. Wer hoch hinauswill, der fällt tief. Liebe macht blind. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Nie den zweiten Schritt vor dem ersten tun.
Wie auch immer, um diese Fragen beantworten zu können, brauchte ich erst mal die Chance, Luc näher kennenzulernen. Nur dazu musste er wieder frei sein, und wenn ich es mit kritischem Blick betrachtete, dann hatte das, was Sandrine über ihn erzählte, nicht wirklich entlastend geklungen. Vater und Sohn bis heute unfähig, sich vernünftig zu unterhalten, noch vor ein paar Tagen war der Vater mit einer Rebschere auf Luc losgegangen. Dabei wäre der alte Murnier, wenn man Sandrine glauben durfte, irgendwie zur Versöhnung bereit gewesen, aber noch nicht gleich und auch nicht so richtig, vielleicht wünschte sich Sandrine das auch nur. Weshalb hatte der Alte Luc angerufen? Und Luc? Hatte er auf den Anruf reagiert, später?
Jede neue Information warf weitere Fragen auf. Die Fäden, von denen Alban Brandt so gerne sprach, ein labyrinthisches Knäuel. Ich kam mir vor wie ein Huhn, Ȋ Bibbele«, Ȋ Mistkratzerle«, das blind im Hof herumscharrte und darauf hoffte, ein echtes Korn zu finden, aber bestenfalls einen Schnabel voll labberigen Bibbeleskäs erwischte. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Ich sollte wie FK oder Alban Brandt darauf bauen, dass die Polizei rechts und links des Rheins ihre Arbeit ordentlich tat und bald die wirklichen Mörder â oder war es nur einer? â dingfest machte.
Ich fuhr ziellos durch Scherwiller, wo nichts mehr an den Mord erinnerte. Nirgendwo mehr Polizeiwagen, das Absperrband am Aubach verschwunden, kaum Leute auf der StraÃe. Nur zwei alte Frauen mit geschulterten Spitzhacken fielen mir auf, die von der Feldarbeit zurückkehrten und ähnliche Kittelschürzen trugen wie die alten Bäuerinnen bei uns im Dorf.
Als der Wegweiser nach Kientzville auftauchte, wusste ich, was ich tun würde. Ãber die schnurgerade StraÃe fuhr ich die drei Kilometer bis zu Antoinettes Haus. Diesmal erwartete sie mich nicht an der Tür, aber sie war zu Hause und lieà sich gerne von mir zum Abendessen einladen. Sie schlug die Winstub Mueller vor. Ihr sei, trotz Sommer, heute nach Baekeoffe, und keiner mache einen so guten Baekeoffe mit Pinot noir wie Pierre Mueller.
Nachdem die Lippen rot gemalt waren und die Garderobe Antoinettes kritischem Blick standhielt, machten wir uns auf den Weg und saÃen bald im Biergarten mit den karierten Tischdecken. Vor uns eine Flasche eisgekühlter Pinot noir und eine Karaffe Wasser, bei der ich mich bevorzugt bediente. Auf keinen Fall wollte ich mich heute wieder besaufen und dann über eine weitere Leiche stolpern.
»Für ä Baekeoffe brauchsch ä Topf von Soufflenheim mit em Deckela, und des Deckela machâsch mit einem Streifela paté à pain fescht«, erklärte mir Antoinette und fragte, ob ich wisse, warum der Baekeoffe Baekeoffe heiÃt.
Natürlich wusste ich das. Der Baekeoffe war das Essen für den Waschtag am Montag. Dazu schichtete man die Bratenreste vom Sonntag mit Zwiebeln und Kartoffeln in einem Keramiktopf â Antoinette bestand auf einem aus den Soufflenheimer Töpfereien â, übergoss alles mit Wein
Weitere Kostenlose Bücher