Bibbeleskaes
nie dazu berufen gefühlt, Reiche und Nationen zu gründen. »Lokaldemokraten« nannte André Weckmann sie. Antoinettes Lieblingsdichter, auch er ein Malgré-nous -Soldat übrigens, der auf Elsasserditsch, Deutsch und Französisch schrieb. Ein Kosmopolit, der von einer Alemannischen Internationalen träumte. Schweizer, Badener, Elsässer, durch ihre gemeinsame Sprache verbunden, sollten politisch und kulturell enger zusammenwachsen. Gleichzeitig bodenständig und weltoffen, so hatte er die Alemannen gesehen.
Und es gab ja auch schon viel Grenzübergreifendes. Nicht nur das Gemeinsame Zentrum für Polizeiarbeit, auch eines für wirtschaftliche Zusammenarbeit existierte, zudem viele Gemeinde-Partnerschaften, Kooperationen von Kindergärten und Schulen, die Möglichkeit, eine Ausbildung sowohl im Badischen als auch im Elsass zu machen, und noch vieles mehr. Mit Ȉ Fruehjohr für unsere Sproch« gab es eine groÃe Bewegung zur Förderung des Elsasserditsch.
Gleichzeitig aber lernten links und rechts des Rheins immer weniger Schüler Französisch beziehungsweise Deutsch, und das Elsasserditsch verschwand mehr und mehr aus dem Alltag. Würde also die gemeinsame Sprache, die die drei Länder am Oberrhein verband, dem Geist der Globalisierung geopfert werden? Würden sich Badener und Elsässer in zwanzig Jahren auf Englisch verständigen müssen?
Auf der Fahrt nach Schlettstadt wurden die Gedanken von einer Alemannischen Internationalen schnell wieder von persönlichen verdrängt. Was wollte Sandrine mir zeigen? Ich dämpfte meine Hoffnung, dass sie einen entscheidenden Hinweis gefunden haben könnte, auf ein Minimum ein und gab Gas. In der Ferne schimmerten die Vogesen im gleichen Blau wie der Schwarzwald, wenn man auf deutscher Seite durch die Rheinebene fuhr. Die Orte in den Tälern, kleine Farbtupfen im milchigen Bergblau, flogen an mir vorbei. Schon von Weitem erkannte ich die Ruine der Ortenburg. Schwarz hoben sich der Turm und die Reste der Burgmauer vom Blau der Berge ab. Ich drosselte das Tempo und verlieà die Autobahn in Schlettstadt. Die Strecke bis Scherwiller nun schon vertraut, zum Schluss das kurze Stück durch die Weinberge, dann bog ich bei der Kapelle am Tannenhues zu Lucs Hof ab.
Die beiden Australierinnen spritzten mit groÃen Gartenschläuchen Bottiche sauber, als ich den Wagen auf dem Kies vor dem Haus parkte. Sie sahen kurz auf, arbeiteten aber weiter, als Sandrine mir vom Carport her zuwinkte. Breitbeinig saà sie auf einer Bierbank, trug eine sehr weite schwarze Latzhose, und ihre Frisur wurde diesmal von einem Totenkopftuch zusammengehalten. Ihr Kajalstift war heute in der Schublade geblieben, überhaupt hatte sie noch keinerlei Schminke benutzt. Erst jetzt sah ich, wie jung sie war. Wie schön ihre Augen glänzten, wenn sie diese nicht schwarz zukleisterte!
»Das ging aber schnell«, staunte sie. »Sie müssen ja sämtliche Geschwindigkeitsrekorde gebrochen haben.«
»Ich war schon in StraÃburg«, erklärte ich und schaute fragend auf die mit Rebscheren gefüllte Kiste zu ihren FüÃen.
»Ich muss alle Rebscheren ausprobieren und die kaputten aussortieren. Damit sie in Ordnung sind, wenn die Lesehelfer kommen. Wissen Sie, es stehen jetzt all die Vorbereitungen für die Lese an: Bottiche säubern, Rebscheren und die Geschirre für den Traubentransport kontrollieren, wenigstens das können wir ohne Dad erledigen. Aber für die ganzen Maschinen im Keller brauchen wir ihn. Und dann sind da noch Pépés Reben! Jakub und Katjuscha machen erst mal weiter wie bisher. Ich kann doch da nichts entscheiden, das muss Dad tun. Dad muss ganz schnell wieder â¦Â«
Ihre Sätze sprudelten immer hastiger heraus, am Ende überschlugen sich die Worte. Schon die ganze Zeit hatte sie mit dem Fuà gegen die Scherenkiste gekickt, wieder und wieder tat sie das, bis die Kiste umkippte, und dann sah sie mich an, als wäre alles meine Schuld.
Ich stellte die Kiste wieder auf, sammelte die herausgefallenen Scheren ein, setzte mich neben Sandrine auf die Bank, nahm eine der Scheren aus der Kiste, öffnete den Verschluss, drückte die Griffe ein paarmal in der Hand zusammen und prüfte die Schärfe der Klingen.
»Die würde ich zu den Guten tun«, sagte ich und reichte sie an Sandrine weiter. »Ich nehme an, der Scherenschleifer kommt noch?«
Mit einem
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