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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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lassen. Denn sogar ganz am Ende ihrer Herrschaft haben die Roten Khmer noch massenweise Menschen abgeschlachtet. Sie haben Tausende von Bauern aus der Gegend hier ermordet, und, ähm, die Einheimischen sagen, dass ihre Leichen alle da draußen im See liegen und sein Wasser für immer vergiften.«
    Chemda ließ sich nach hinten sinken und stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab. Sie wandte sich wieder Rittisak zu, und nachdem sie eine Weile mit ihm gesprochen hatte, erklärte sie Jake: »Rittisak sagt, wenn wir über die Grenze wollen, müssen wir heute Nacht aufbrechen. Sobald es dunkel wird.«
    »Klingt vernünftig.«
    »Aber es gibt nur einen einzigen Weg, nur eine Möglichkeit, die Kontrollpunkte zu umgehen.« Sie blickte nach draußen auf die trostlose Wasserfläche und nickte. »Ja. Wir müssen über den See. Uns bleibt nur dieser Weg. Und er ist gefährlich.«
    »Nein.«
    »Doch. Wir müssen über den See.«

26
    Q uelques spéculations sur les origines de culpabilité et de conscience dans les grottes paléolithiques de France et d’Espagne.
    Julia saß in ihrer Wohnung und dachte nach. So war Ghislains Artikel überschrieben, der Artikel, nach dem die Killerin suchte.
    »Einige Überlegungen zur Entstehung von Schuldbewusstsein und Gewissen in den paläolithischen Höhlen Frankreichs und Spaniens.«
    Was bedeutete das? Welche Schlüsse hatte Ghislain aus den archäologischen Funden gezogen?
    Die Entstehung von Schuldbewusstsein?
    Die anderen unterhielten sich leise. Aber Julia bekam nichts mit von dem, was um sie herum geschah. Sie bekam nicht mit, dass Rouvier nachdenklich am Fenster stand, sie bekam nicht mit, dass Alex eine Frage murmelte und dann in die Küche verschwand – ihre ganze Konzentration richtete sich auf die Empfindungen, die sie gehabt hatte, als sie vor den Megalithen der Cham des Bondons gestanden hatte.
    Schuldbewusstsein. Ja, sie hatte so etwas wie Schuldbewusstsein empfunden. Bedrücktes Schuldbewusstsein. Und jetzt hatte sie endlich einen Anhaltspunkt; und verholfen hatten ihr zu diesem Anhaltspunkt die schrecklichen Erlebnisse im Archiv des Musée de l’Homme. Vielleicht bestand doch ein Zusammenhang zwischen den Schädeln und den Morden – vielleicht sogar zwischen den Höhlenmalereien und den Morden. Und wenn ein solcher Zusammenhang bestand, war er sehr elementar und existenziell. Sie spürte die ersten Konturen einer Idee, konnte sie geradezu mit den Fingern erfühlen, wie eine Blinde, die eine abstrakte Bronzeskulptur betastete. Kunst. Knochen. Aufgebohrte Schädel.
    Ihre Entdeckung versetzte sie in helle Euphorie, auch wenn ihr die Erinnerung an die bleiche Asiatin – und wie sie mit dem Messer nach ihrem Auge gestoßen hatte –, immer noch tief in den Knochen steckte.
    Rouvier nickte bedächtig. Das durch die halbgeschlossenen Jalousien fallende Licht zeichnete feine Streifen auf sein sympathisches Gesicht. Ein Mann hinter waagrechten Gitterstäben.
    Vielleicht befanden sie sich alle hinter metaphorischen Gittern, dachte Julia plötzlich. Sie hatten sich jetzt schon achtundvierzig Stunden hier verkrochen und wagten kaum, in die Boulangerie zu gehen. Polizisten waren gekommen und gegangen, Vernehmungen waren geführt und aufgezeichnet worden, aber Julia und Alex saßen in der abgedunkelten Wohnung fest, gemeinsam isoliert.
    Alex kam mit seiner dritten Tasse Tee aus der Küche zurück und setzte sich wortlos aufs Sofa. Rouvier deutete auf das Blatt Papier, auf das mit großer Sorgfalt der Titel des Artikels geschrieben war. Des Artikels, der aus unerfindlichen Gründen verschwunden war.
    »Miss Kerrigan. Könnten Sie mir das kurz erklären? Und vergessen Sie bitte nicht, ich bin ein kleiner Kriminalbeamter aus der tiefsten Provinz. Ein péquenaud .« Er lächelte gewinnend. »Mit derlei komplizierten wissenschaftlichen Sachverhalten hatte ich leider immer schon meine Schwierigkeiten. Inwiefern hängt Ihre neue Theorie mit dem verschwundenen Artikel von Ghislain Quoinelles zusammen?« Sein Lächeln verflog. »Und mit diesen ganzen Morden?«
    Julia konnte nur mit einem verkniffenen Lächeln aufwarten. »Wie gesagt, noch habe ich keine stimmige Theorie. Nur ein paar Ideen. Dazu muss man zunächst einmal Verschiedenes über die Evolution des menschlichen Geistes wissen.«
    »Ich höre.«
    »Archäologen und Anthropologen haben den Begriff der behavioral modernity geprägt. Damit bezeichnen sie den gewaltigen Sprung, den die Menschen …« Julia sah kurz Alex an, dann

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