Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
Vom Netzwerk:
besuchen. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann.
    Und hier war sie nun, an der Schwarzmeerküste, in einem abchasischen Primatenlabor.
    Am Haupteingang war ein Klingelschild angebracht. Sie drückte auf einen großen Bakelitknopf, und die Tür ging auf. Am Empfang saß eine billig aufgedonnerte blonde Sekretärin mit fleckiger Haut und schlechten Zähnen. Sie packte ihre Sachen in eine Handtasche und schien im Begriff, Feierabend zu machen. Sie quittierte Julias klägliche Versuche, sich mit ihrem Reiseführer-Russisch verständlich zu machen, mit einem freundlichen Achselzucken und brachte Julia ohne Umschweife in das Büro des Direktors, ein großes Zimmer mit abblätternder Farbe, einem pompösen Holzschreibtisch, zwei riesigen klobigen Telefonen und verblichenen Fotografien und Landkarten an den Wänden.
    Der Mann selbst saß hinter dem Schreibtisch. Sergej Jakulowitsch. Ehemaliger Herausgeber des Journal Français de l’Anthropogenèse . Der Direktor des Instituts für experimentelle Primatenpathologie.
    Jakulowitsch stand auf, als Julia das Zimmer betrat; er schüttelte ihr mit einem scheuen, fast tragischen Lächeln die Hand und gab ein paar Nettigkeiten von sich. Sein Englisch war gut, und er war stolz darauf. Sein Französisch und sein Deutsch waren anscheinend noch besser, wie er Julia zu verstehen gab. Er forderte sie auf, Platz zu nehmen, und kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück. Julia taxierte ihn unauffällig. Mit seinem schmuddeligen braunen Anzug und dem melancholischen Gesicht sah er aus wie eine pensionsreife Version seiner Affen.
    Julia wollte ihre erste Frage stellen, wurde aber von der blonden Vorzimmerdame mit den schlechten Zähnen unterbrochen. Sie brachte ein Tablett, auf dem zwei tulpenförmige Gläser mit schwarzem Tee und eine Untertasse mit leuchtend roter Himbeermarmelade standen. Die Gläser klimperten, als sie das Tablett auf einem kleinen Tisch abstellte. Sergei Jakulowitsch lächelte die Frau an und tippte zum Zeichen, dass sie nach Hause gehen könnte, auf seine Armbanduhr.
    Sie schlüpfte in ihren Kunstfasermantel und verabschiedete sich.
    Dann waren sie allein im Primateninstitut. Draußen brach ein kalter, regnerischer Abend herein.
    »So. Sollen wir dann anfangen?« Der Institutsleiter rührte Marmelade in seinen Tee. »Ich fühle mich durch den Besuch einer renommierten amerikanischen Wissenschaftlerin sehr geehrt. Der Grund, weshalb ich nicht detaillierter auf Ihre E-Mails geantwortet habe, ist ganz einfach der, dass wir viele unseriöse Anfragen erhalten. Hauptsächlich Journalisten. Ich bin grundsätzlich kein misstrauischer Mensch, aber unsere Arbeit hier wurde schon zu oft der Lächerlichkeit preisgegeben. Aber nachdem Sie den Anstand besessen haben, hierherzukommen und uns zu besuchen, werde ich Ihnen auch gern Rede und Antwort stehen.« Eine kurze, verräterische Pause. »Wie Sie sich vielleicht denken können …« Der Blick seiner traurigen alten Augen wanderte kurz über die abblätternde Farbe an den Wänden des Zimmers zu einem der hohen Fenster und in die abchasische Dämmerung hinaus. »… ist unser Institut schon lange nicht mehr, was es einmal war. Seit geraumer Zeit nimmt die Zahl der Besucher, die ernsthaftes Interesse an unserer Arbeit haben, deutlich ab. Inzwischen suchen uns eigentlich nur noch Touristen auf und Leute, die unsere Arbeit – auf die wir, wie ich nicht zu erwähnen vergessen möchte, sehr stolz sind – gezielt in ein falsches Licht rücken.« Er lächelte unvermutet, und Julia konnte sehen, dass sich ein Himbeerkern zwischen seinen gelben Vorderzähnen verkeilt hatte. »Doch jetzt zu Ihnen. Sie schreiben also einen Artikel über meinen Freund Ghislain Quoinelles? Habe ich das richtig verstanden? Der arme Ghislain. Ein kluger Kopf und ein guter Kollege. Ermordet von einem … Verrückten, wenn ich das richtig sehe? Ich versuche mich hier zwar, so gut es geht, auf dem Laufenden darüber zu halten, was im Rest der Welt geschieht, aber das ist nicht immer leicht. Wir haben hier sehr viel zu tun … in unserer kleinen Bastion der Wissenschaft!«
    »Ja …«, sagte Julia und geriet bei der Erinnerung an ihre beiden ermordeten Freunde ins Stocken. »Deshalb, wissen Sie … ich will etwas über Ghislain schreiben. Wie in meinen Mails bereits erwähnt, interessiere ich mich für alle Aspekte seines Lebens. Wie sich zum Beispiel seine Forschungstätigkeit mit Ihrer Arbeit überschnitt, was Sie zu Kollegen gemacht hat. Vielleicht wäre es das

Weitere Kostenlose Bücher